Berlin. In der Debatte um die Zukunft der Schieneninvestitionen hat das Bundesverkehrsministerium erstmals eingeräumt, dass viele Neu- und Ausbau-Projekte, die nach dem Bundesverkehrswegeplan zum Vordringlichen Bedarf zählen, nicht gesichert sind. Auf einem parlamentarischen Abend der Allianz pro Schiene am Donnerstag in Berlin wurde eine entsprechende Ministeriumsliste erstmals öffentlich diskutiert. Gemeinsam mit Bahnchef Rüdiger Grube erläuterte der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses Winfried Hermann, dass zentrale Projekte aus allen Wachstumsbereichen des Schienenverkehrs betroffen seien. Nach Berechnungen der Deutschen Bahn müsste der Bund 1,8 Milliarden Euro pro Jahr einsetzen, um die Projekte des Vordringlichen Bedarfs bis 2025 umzusetzen. Tatsächlich plane das Verkehrsministerium bisher nur mit 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Zwischen Verkehrswegeplan-Wunschliste und den vom Bund bereit gestellten Finanzmitteln klafft eine riesige Lücke, kommentierte Allianz pro Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege. Die Regierung müsse jetzt schnellstmöglich die Vorhaben priorisieren auch verkehrsträgerübergreifend.
So ist laut Bundesverkehrsministerium etwa der für den Güterverkehr wesentliche Ausbau der Rheintalschiene in großen Teilen nicht finanziell hinterlegt. Auch für die vieldiskutierte Y-Trasse stehen lediglich Planungsmittel bereit, Geld für den Bau ist bisher nicht vorgesehen. Nackt steht auch der größte Teil des bayerischen Chemie-Dreiecks da: Das Schienenprojekt rund um Mühldorf ist bislang ohne ausreichende Finanzierung geblieben. Unterfinanzierte Projekte in Ballungsräumen würden vor allem Berufspendler treffen. So ist zum Beispiel der Ausbau der Knoten in Mannheim, Dresden, Berlin und Frankfurt am Main von der Mittelknappheit bedroht. Im Personenfernverkehr wartet unter anderem die Strecke Frankfurt Mannheim auf eine Finanzierungsvereinbarung des Bundes. Selbst international geschlossene Staatsverträge führen nicht dazu, dass der Bund das nötige Geld fristgerecht bereitstellt: Bei der Ausbaustrecke Berlin Dresden Prag sind große Teile ebenfalls noch ganz ohne Finanzierungsgrundlage.
Der Geschäftsführer des Schienenbündnisses, Dirk Flege, warnte das Verkehrsministerium davor, sich in der Mangelwirtschaft einzurichten. Das deutsche Schienennetz ist seit Jahren unterfinanziert, sagte Flege und rechnete vor, was die europäischen Nachbarländer 2008 in ihr Netz investiert hätten: Die Schweiz steckte stolze 284 Euro pro Bürger ins Netz, Österreich immerhin 205 Euro. Dem deutschen Staat war sein Schienennetz nur 47 Euro pro Kopf wert, und er lag damit sogar hinter Italien mit 60 Euro pro Kopf. Deutschland droht international den Anschluss zu verpassen, sagte Flege und forderte Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) auf, seinen Versprechen endlich Taten folgen zu lassen. Der Minister hat dementiert, dass es eine Streichliste gibt. Wir nehmen ihn beim Wort, sagte Flege. Auch wir sind gegen Streichlisten. Der Straßenbau hatte in Deutschland jahrelang Vorrang. Das passt nicht mehr in unsere Zeit. Flege: Nach der jahrelangen Hängepartie bei den Schienenprojekten ist der Bund nun gefordert, ein umfassendes Konzept zu entwickeln, wie er die Verkehrsströme in Zukunft leiten will. Wie viel soll auf die Schiene, wie viel auf die Straße? Wie lässt sich das erreichen? Wo sind die Engpässe? Das sind die Fragen die der Bund jetzt schnellstmöglich beantworten muss.