Berlin, den 26. Mai 2016. Der Europäische Rechnungshof hat der Europäischen Kommission und mehreren Nationalstaaten in der EU ein blamables bahnpolitisches Zeugnis ausgestellt. Die auf eine Stärkung der Güterbahnen ausgerichtete Verkehrspolitik der Europäischen Union sei in den vergangenen 15 Jahren „nicht wirksam“ gewesen, monieren die Rechnungsprüfer in ihrem am Dienstag dieser Woche veröffentlichten Sonderbericht zum Schienengüterverkehr. Die Liste der Mängel ist lang und reicht von staatlich verursachten Benachteiligungen der Güterbahnen im Preiskampf mit dem Lkw über unnötige „administrative und technische Sachzwänge“ bis zu einer Umschichtung von für Bahnprojekte gedachten EU-Geldern hin zum Straßenbau.
Der Europäische Rechnungshof wirft Deutschland – genau wie Tschechien und Polen – vor, EU-Geld unverhältnismäßig auf die Verkehrsträger verteilt zu haben. Wörtlich heißt es in dem Bericht der Prüfungsbehörde: „In drei der fünf besuchten Mitgliedstaaten wurden im Zeitraum 2007-2013 mehr EU-Mittel für die Straße bereitgestellt als für die Schiene, obwohl die Kommission effizientere und nachhaltigere Verkehrsarten zur Güterbeförderung als politischen Schwerpunkt festgelegt hatte.“ Von den fünf untersuchten Ländern hätten lediglich Spanien und Frankreich in Übereinstimmung mit den verkehrspolitischen Zielen der EU das Gros der EU-Mittel in die Schieneninfrastruktur investiert.
Die Allianz pro Schiene fordert eine schnelle Aufstockung der staatlichen Mittel für das deutsche Schienennetz. Mindestens 6,5 Milliarden Euro pro Jahr sind nötig. Das sind 80 Euro pro Einwohner, wie sie beispielsweise Italien investiert.
„Die Straße bekommt das Geld, die Schiene bekommt die guten Worte. Dieses Prinzip zieht sich, trotz anderslautender Politikerversprechen, wie ein roter Faden durch die Verkehrspolitik Europas und auch Deutschlands“, sagte Allianz pro Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege am Donnerstag in Berlin. Vor diesem Hintergrund sei es „nicht verwunderlich, dass der Marktanteil der Güterbahnen in Europa bei 17 Prozent stagniert“. Lichtblicke seien Österreich und das nicht EU-Land Schweiz. Flege: „Beide Alpenländer investieren auch aus ihren nationalen Etats mehr Geld in die Schieneninfrastruktur als in die Straßeninfrastruktur und machen sich verkehrspolitisch fit für die Zukunft“. In Deutschland solle nach dem Willen der Bundesregierung auch künftig deutlich mehr in Asphalt als in Gleise investiert werden.
Der Entwurf des Bundesverkehrswegeplans sehe bis 2030 55 Prozent des staatlichen Geldes für Neu- und Ausbau von Straßen vor, während nach Angaben des Verkehrsbündnisses nur 40 Prozent für den Neu- und Ausbau des Schienennetzes vorgesehen sind.
Die Europäische Kommission reagierte auf die harsche Kritik des Europäischen Rechnungshofes teilweise einsichtig, gab sich aber für die Zukunft des Schienengüterverkehrs optimistisch: „Die Probleme (…) sind zum Teil darauf zurückzuführen, dass im Wettbewerb keine einheitlichen Bedingungen herrschen (Internalisierung externer Kosten)“, heißt es in der schriftlichen Erwiderung auf den Bericht der Prüfbehörde. Und weiter: „Darüber hinaus ist die Kommission zuversichtlich, dass die in jüngster Zeit eingeleiteten Maßnahmen dazu führen werden, dass der Verkehrsträgeranteil des Schienengüterverkehrs in den kommenden Jahren zunehmen wird.“
Als unabhängige externe Rechnungsprüfungsstelle der EU vertritt der Europäische Rechnungshof die Interessen der europäischen Steuerzahler/-innen. Er kann selbst keine rechtlichen Schritte einleiten, setzt sich jedoch für die Verbesserung der Verwaltung des EU-Haushalts durch die Europäische Kommission ein und berichtet über die Finanzlage allgemein.
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