Berlin, den 1. September 2016. Nachdem namhafte Güterbahnchefs einen Ausbau des deutschen Schienennetzes für den Einsatz normallanger Güterzüge von 740 Metern Länge gefordert haben, ziehen Politiker aller Parteien nach. Auf Nachfrage des gemeinnützigen Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene sehen die Verkehrsausschussvorsitzenden im Bundestag und im EU-Parlament, Martin Burkert und Michael Cramer, beim 740-Meter-Netz jetzt Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt am Zug. Verkehrsexperten der Parteien im Bund versprechen sich von längeren Güterzügen einen positiven Klimaeffekt und einen deutlichen Effizienzsprung im Schienengüterverkehr.
Nach Angaben der Deutschen Bahn wird die heutige europäische Standard-Zuglänge von 740 Metern auf vielen Strecken in Deutschland nicht erreicht. Oft wegen geringfügiger Netzbeschränkungen verkehren nur 11 Prozent der Züge hierzulande in normaler Länge.
„Die EU hat sich vorgenommen, bis zum Jahr 2030 das europäische Kernnetz für lange Güterzüge zu ertüchtigen“, sagte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im EU-Parlament, Michael Cramer. Dafür müssten jetzt alle Mitgliedsstaaten mit dem Netzausbau anfangen. „Deutschland ist eines der wichtigsten Transitländer und sollte auf keinen Fall bis 2030 warten. Leider ist ein Netz immer nur so gut, wie das schwächste Glied in der Kette“, sagte Cramer.
„Die Bundesregierung hat das Ziel, den Schienengüterverkehr zu stärken“, sagte Martin Burkert, der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag. „Mit dem Netz für längere Güterzüge gibt es jetzt eine Chance, den guten Worten auch gute Taten folgen zu lassen.“ Mit dem 740-Meter-Netz könne die Politik mit wenig Aufwand viel erreichen, sagte Burkert. Zugleich hielt der Ausschussvorsitzende den Bundesverkehrsminister zur Eile an. „Der Bund hat jetzt endlich begonnen, die Projekte für längere Güterzüge im Bundesverkehrswegeplan zu bewerten. Der Bundestag braucht im Oktober für die Beratung des Ausbaugesetzes klare Fakten und keine Wundertüte.“
Dirk Fischer, Mitglied der Arbeitsgruppe Verkehr und digitale Infrastruktur der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erhofft sich von einer Ertüchtigung des Netzes für längere Güterzüge vor allem positive Rückwirkungen auf den Hamburger Hafen. „Der Hamburger Hafen ist einer der größten Seehäfen der Welt“, sagte Fischer. „Ein entscheidender Wettbewerbsvorteil ist seine leistungsfähige Hafenbahn, weil schon heute 45 Prozent der im Hafen umgeschlagenen Güter mit der Bahn weiter transportiert werden.“ Umso hinderlicher die Flaschenhälse im Hinterlandnetz: „Leider erzwingen Engpässe an der Infrastruktur oft Güterzüge unter der Standardlänge. Mit normallangen Zügen von 740 Metern könnte der Hafen noch mehr Verkehr auf die Güterbahn bringen“, sagte Fischer im Hinblick auf die Beratungen des Bundestags im Oktober. „Das Schienenwegeausbauänderungsgesetz ist jetzt unsere Chance, den Seehafenhinterlandverkehr für die Güterbahnen auf Weltniveau zu bringen.“
„Der Kabinettsbeschluss zum Bundesverkehrswegeplan und zu den Ausbaugesetzen stellt für den Verkehrsträger Schiene die richtigen Weichen“, sagte Ulrich Lange, der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. „In der Kategorie des sogenannten „Potentiellen Bedarfs“ sind die Projekte zusammengefasst, die in den „Vordringlichen Bedarf“ aufsteigen können, sobald sie die dafür notwendigen Kriterien erfüllen. Zu diesen Projekten gehören auch die Engpassauflösungen für die 740-Meter-Züge“, sagte Lange und zeigte sich zuversichtlich, dass die nächsten Schritte für den Ausbau des 740-Meter-Netzes nun ohne weitere Verzögerung getan werden können: „Das heißt, das Parlament kann bereits alle rechtlichen Rahmenbedingungen für eine spätere Realisierung schaffen, während im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur noch die Details geprüft werden. Kurz: Der Prozess läuft bereits und wird trotz seiner Komplexität zügig weitergeführt.“ Der verkehrspolitische Sprecher der Union erinnerte daran, dass für das 740-Meter-Netz schon jetzt mit den Vorbereitungen für die Planung begonnen werden müsse. „Für eine spätere schnelle Realisierung ist es vielmehr jetzt schon wichtig, an den Aufbau der dann dringend notwendigen Planungskapazitäten zu denken“, sagte Lange.
Für die Grünen spricht vor allem die Klimawirkung des Schienengüterverkehrs für den Ausbau. „Der Verkehr ist das klimapolitische Sorgenkind. Seit 1990 hat der Verkehrssektor keine CO2-Reduktion geschafft“, sagte Stephan Kühn, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. „Die Ziele des UN-Klimagipfels von Paris sind ohne eine Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene nicht zu erreichen. Dafür brauchen wir zusätzliche Kapazitäten. Der Infrastrukturausbau für Güterzüge bis zu einer Länge von 740 Metern erhöht die Leistungsfähigkeit des Netzes und verbessert die Wirtschaftlichkeit der Bahn erheblich“, sagte Kühn.
Die verkehrspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Sabine Leidig, zeigte sich verärgert über den Bummelkurs des Bundes beim 740-Meter-Netz. „Beim Riesen-Lkw gibt die Bundesregierung Gas, bei langen Güterzügen bummelt sie extrem“, sagte Leidig und forderte insgesamt eine bessere Balance zwischen Schiene und Straße im Bundesverkehrswegeplan: „Im Entwurf für den neuen Bundesverkehrswegeplan ist die Schiene wieder einmal unterrepräsentiert. Für eine Verkehrswende mit der immer wieder beschworenen Verlagerung von der Straße auf die Schiene ist das völlig ungenügend, und es muss dringend nachgebessert werden.“
Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, zeigte sich erfreut über den umfassenden Rückhalt für das 740-Meter-Netz. „Es kommt selten vor, dass Wirtschaft, Politik und Verbände so einhellig einer Meinung sind“, sagte Flege. „Ein Beweis, dass die Zeit der Engpässe und kurzen Güterzüge in Deutschland zu Ende gehen muss. Der Ball liegt nun im Feld des Bundesverkehrsministeriums.“ Die Kosten für die 66 von der DB Netz angemeldeten Ausbaumaßnahmen schätzte Flege auf 200 bis 300 Millionen Euro. „Die Maßnahmen bringen volkswirtschaftlich und klimapolitisch einen hohen Nutzen und sind zugleich wenig aufwendig. Es handelt sich oft nur um das Versetzen von Signalen und das Verlängern von Überholgleisen“, sagte Flege und mahnte zur Eile. „In den EU-Nachbarländern sind längere Züge bereits im Einsatz. In Dänemark verkehren Züge von 835 Metern Länge, Frankreich plant ab 2018 bereits mit 1000 Meter langen Güterzügen“, sagte Flege. Laut EU Kommission sollen spätestens im Jahr 2030 alle Strecken des europäischen Kernnetzes für mindestens 740 Meter lange Züge geeignet sein.
Weitere Informationen:
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