Berlin, den 7. Oktober 2016. Nachdem namhafte Güterbahnchefs und Verkehrspolitiker aller Fraktionen einen Ausbau des deutschen Schienennetzes für den Einsatz von 740 Meter langen Güterzügen befürwortet haben, bekommen sie zum Abschluss der Verkehrsministerkonferenz (VMK) in Stuttgart Rückenwind aus den Ländern. Danach verlangen die Verkehrsminister vom Bund bessere Entwicklungsperspektiven, um den Marktanteil des Schienengüterverkehrs zu vergrößern. Insbesondere solle der Bund zur „durchgängigen Befahrbarkeit des Netzes mit 740-Meter-Zügen“ Stellung nehmen, heißt es in dem am Donnerstag einstimmig gefassten Beschluss der VMK in Stuttgart. Auf Anfrage des gemeinnützigen Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene sehen die Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg, Brandenburg und Sachsen-Anhalt im 740-Meter-Netz ein intelligentes Mittel, um Güter klimaverträglich vom Lkw auf die Bahn zu verlagern. Auch das Umweltbundesamt (UBA) drängt im Sinne der Klimaschutzziele auf kurzfristige Anstrengungen zur Verkehrsverlagerung durch längere Güterzüge.
Verkehrsexperten aller Parteien im Bund hatten längeren Güterzügen bereits einen positiven Klimaeffekt bescheinigt. Die Chefs von DB Cargo, SBB Cargo International, der Havelländischen Eisenbahn, der Hamburger Hafenbahn und der Chef der Spedition Konrad Zippel hoffen im Schienengüterverkehr auf einen Effizienzsprung im zweistelligen Prozent-Bereich. Für längere Güterzüge müssten deutschlandweit punktuell Überholgleise gebaut und einige Flaschenhälse geweitet werden.
Nach Angaben der Deutschen Bahn, die 90 Prozent der Schienenstrecken betreibt, wird die heutige europäische Standard-Zuglänge von 740 Metern auf vielen Strecken in Deutschland nicht erreicht. Oft wegen geringfügiger Netzbeschränkungen verkehren nur 11 Prozent der Züge hierzulande im EU-Standard.
Zur Verkehrsministerkonferenz in Stuttgart mahnte der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) den Bund zum Handeln, damit noch in diesem Jahr der Ausbau für längere Güterzüge beschlossen werden könne: „Wir machen die Infrastruktur in NRW, dem verkehrs- und bevölkerungsreichsten Bundesland, fit für die Zukunft. Dazu gehört auch, dass wir im Bundesschienenwegeausbaugesetz dringend eine Ertüchtigung des Schienennetzes für 740 Meter lange Güterzüge brauchen, denn jeder dieser Züge ersetzt bis zu 52 Lkw auf der Straße. Das Bundesverkehrsministerium muss die entsprechende Streckenbewertung jetzt zügig vorlegen, damit – wenn der Bundestag grünes Licht gegeben hat – noch in diesem Jahr mit der Umsetzung der Maßnahmen begonnen werden kann“, sagte Groschek.
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verwies vor allem auf die Klimaziele seines Landes: „Als Landesregierung haben wir uns vorgenommen, den Verkehr klimaschonender zu gestalten. Deshalb wollen wir Güter stärker auf die Schiene verlagern. Dies wird nur gelingen, wenn wir zugleich den Lärmschutz deutlich verbessern und bis 2020 den Schienenlärm halbieren.“ Zur Illustration verwies Hermann auf die Verlagerungspolitik der Schweiz: „Unsere Schweizer Nachbarn verfolgen die gleichen Ziele und bauen ihre Schienen-Korridore und den Gotthard aus. Das erlaubt längere Züge bis zu 740 Metern und mehr Kapazitäten. Der Bund sollte mit dem Bundesschienenwegeausbaugesetz dafür sorgen, dass das Netz für mehr Güterverkehr ausgebaut, elektrifiziert und modernisiert werden kann.“
Verkehrsministerin Kathrin Schneider (SPD) verspricht sich von der Ertüchtigung des deutschen Netzes für längere Güterzüge Impulse für Berlin und Brandenburg: „Die Hauptstadtregion hat sich zu einem wichtigen Logistikstandort im Netz der europäischen Korridore entwickelt. Viele Schienenstrecken erlauben aber nur sehr kurze Güterzüge. Deshalb brauchen wir den weiteren Ausbau für eine leistungsfähigere Schieneninfrastruktur. Schon mit kostengünstigen Maßnahmen wie der Neuordnung von Signalen und der Verlängerung von Überholgleisen können Verbesserungen erreicht werden“, sagte Schneider.
Der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) verspricht sich als Nebeneffekt längerer Güterzüge eine Reduktion des Schienenlärms. „Tatsächlich ist es eine gute Idee, die in Deutschland zulässige Güterzuglänge besser auszunutzen. Die gleiche Gütermenge wäre mit weniger Zügen zu bewältigen. Diese Effizienzsteigerung hätte den schönen Nebeneffekt, dass wir auch eine Lärmminderung erreichen: Statt viele kürzere Züge fahren weniger Züge in Standardlänge. Dieser Ansatz ist daher aus Sicht des Landes Hessen zu begrüßen“, sagte Al-Wazir.
Sachsen-Anhalt erhofft sich von einer Ertüchtigung des 740-Meter-Netzes eine überfällige Modernisierung der Infrastruktur im Osten: „In den ostdeutschen Bundesländern gibt es immer noch erheblichen Nachholbedarf bei der Schieneninfrastruktur. Beispielsweise schränken zu kurze Überholgleise den Schienengüterverkehr ein. Besonders auf den Ostrelationen sind dadurch viele Züge kürzer als es eigentlich notwendig wäre“, sagte Staatssekretär Sebastian Putz, der Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) auf der Verkehrsministerkonferenz vertritt. Auch Staatssekretär Putz mahnt den Bund zu einem zügigen Vorgehen. „Im Zuge der Anmeldungen zum Entwurf des Bundesverkehrswegeplans sind viele kleine, schnell realisierbare Maßnahmen vorgeschlagen worden, um diese Engpässe schon bald zu beseitigen. Mit dem Bundesschienenwegeausbaugesetz könnten noch in diesem Jahr die Weichen für die notwendige Ertüchtigung der Infrastruktur in unserem Land gestellt werden.“
Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, zeigte sich erfreut über das Votum der Verkehrsministerkonferenz. „Die Länder haben damit den Schienengüterverkehr ganz oben auf die Agenda gesetzt“, sagte Flege. „Das ist eine gute Nachricht für den Klimaschutz und ein Hoffnungsschimmer für den deutschen Autofahrer, der für weniger Lkw auf deutschen Straßen dankbar wäre. Für Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ein klares Signal, dass die Zeit der Engpässe und kurzen Güterzüge in Deutschland zu Ende gehen muss.“ Die Kosten für die 66 von der DB Netz angemeldeten Ausbaumaßnahmen schätzte Flege auf 200 bis 300 Millionen Euro. „Die Maßnahmen bringen volkswirtschaftlich und klimapolitisch einen hohen Nutzen und sind zugleich wenig aufwendig. Es handelt sich oft nur um das Versetzen von Signalen und das Verlängern von Überholgleisen“, sagte Flege. Laut EU Kommission sollen spätestens im Jahr 2030 alle Strecken des europäischen Kernnetzes für mindestens 740 Meter lange Züge geeignet sein.
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