Ohne einen starken Kaffee geht es bei Carsten Pottharst nicht. Kein Wunder, der Chef des Bahnlogistikunternehmens InterRail Europe organisiert die längsten Güterzugverbindungen der Welt: Seine Züge fahren durch acht Zeitzonen – von China bis nach Spanien. „Die ersten 11.000 Kilometer sind einfach“, sagt Pottharst und erzählt, warum es bei seinen Güterzügen meist erst in Europa richtig knifflig wird.
Allianz pro Schiene: Herr Pottharst, im Januar hat InterRail Europe erstmals einen Güterzug von China bis nach England gefahren. Von Yiwu bei Shanghai ging es via Kasachstan, Russland und Weißrussland, über Polen, Deutschland, Belgien und Frankreich durch den Eurotunnel bis nach Barking bei London. Was ist die größte Herausforderung bei solchen Super-Relationen?
Carsten Pottharst: Auf zwei Dinge müssen Sie achten. Erstens: Die Abstimmung an den Grenzen muss reibungslos ablaufen. Alle Beteiligten müssen wissen, wann kommt der Zug an und wann fährt er weiter.
Zweitens: Sie brauchen die richtigen Wagen zur richtigen Zeit am richtigen Ort. In diesem Fall wurden die 44 Vierzig-Fuß-Container auf den insgesamt rund 12.000 Kilometern dreimal umgeladen. Dabei wechselte auch noch zweimal die Spurweite. Bei solchen Relationen müssen alle Prozesse 100-prozentig aufeinander abgestimmt werden, denn die Anforderungen an unseren Zeitplan sind in der Regel sehr hoch.
Sie haben die Strecke in 18 Tagen geschafft. Zum Vergleich: Ein Containerschiff kommt kaum unter 30 Tage.
Carsten Pottharst: Wir haben bei diesen Transporten mittlerweile sehr viele Erfahrungen gesammelt und ein Netz an verlässlichen Partnern aufgebaut. Deshalb schaffen wir auch diese Rekordzeiten. Im vergangenen Jahr fuhren wir auf der „Neuen Seidenstraße“ rund 280 Züge von China nach Europa. Die ersten 11.000 Kilometer sind einfach, erst in Europa wird es kniffliger.
Warum das?
Carsten Pottharst: Das europäische Schienennetz ist voll, gerade die Grenzübergänge sind neuralgische Punkte. Die Kontrollen und operativen Übergänge nehmen hier teilweise viel mehr Zeit in Anspruch als etwa in China oder Kasachstan. Da läuft es wie ein Uhrwerk, trotz bitterkalten Wintern und Starkwinden. Gerade in Deutschland ist die Taktung der Züge im Netz viel höher und auch die Transportgüter variieren stärker, das macht es komplizierter. An bestimmten Grenzübergängen staut es sich regelmäßig, Aachen zum Beispiel ist ein Nadelöhr. In Frankreich wird man nicht selten von Streiks überrascht und dann sind da noch die ungeplanten Baustellen, die Ihren Zeitplan auf die Probe stellen.
Aber der internationale Schienengüterverkehr wächst.
Carsten Pottharst: Richtig. Gerade China entwickelt sich wirtschaftlich sehr stark. Die Region Yiwu, aus der wir auch viele unserer Güterzüge nach Europa starten, ist die weltgrößte Handelsplattform für Textilien, Elektrogeräte und weitere Güter. Mit der Initiative „One belt one road“ investiert China gerade unglaublich viel in den Ausbau der Infrastruktur. Und der politische Wille, die Transporte auf der Schiene zu machen, ist sehr groß. Für die Chinesen ist das ein Invest in die Zukunft. Zu Beginn unseres Asien-Geschäfts fuhren wir jede Woche einen Ganzzug westbound, heute hat sich die Anzahl vervielfacht. Die Routen gehen entweder über Russland, Kasachstan oder die Mongolei. In Weißrussland läuft der Verkehr in der Regel wieder zusammen, und es geht weiter in die EU. Die Verbindung ist stabil, sicher und schnell.
Warum ist der Schienenweg für China so wichtig?
Carsten Pottharst: Die Frage ist: Wo liegen meine Märkte? Wenn das Ziel in Ostdeutschland oder Süddeutschland liegt, brauche ich nicht den Umweg über Hamburg oder Rotterdam zu nehmen. Wir beobachten insgesamt eine wachsende Nachfrage. Das Netz wird sich auffächern, auch weil China weitere Städte anbinden will. Nach London haben wir jetzt einen Erst-Zug geschickt, Paris ist in der Diskussion, Prag und Budapest werden sicherlich folgen.
Glauben Sie, dass unser Schienennetz genügend Kapazitäten hat?
Carsten Pottharst: Es gibt genügend Kapazitäten, aber wir müssen uns mit alternativen Grenzübergängen und Routen noch breiter Aufstellen, um diese Märkte besser bedienen zu können. Ich hoffe, dass sich die Lage in der Ukraine entspannt, damit wir schnelle Verbindungen nach Südosteuropa aufbauen können. Spannend wäre es auch, die Züge von Kasachstan über die Türkei in diese Regionen zu fahren. Aber das ist noch Zukunftsmusik. In Deutschland würde es uns erst mal helfen, wenn das 740-Meter-Netz zeitnah umgesetzt wird. Wir müssten unsere Züge an den Grenzen, zum Beispiel aus Polen kommend, nicht mehr aufsplitten. Längere Güterzüge bringen einen erheblichen Nutzen für alle, die Transporte werden effizienter und günstiger. Durch den geringeren Aufwand an den Grenzübergängen sparen wir Zeit und minimieren das Risiko von Verzögerungen oder Ausfällen.
Geht denn häufig etwas schief?
Carsten Pottharst: Nein, aber es gibt keinen Tag, an dem nicht etwas Kurioses passiert. In diesem Fall war es Sonntagnachmittag, und in zwei Tagen sollte unser Zug aus China in London ankommen. Ich saß am Mainufer und trank meinen Kaffee, als mich der Terminalbetreiber aus Duisburg anrief. Die Zapfen der Containertragwagen seien verbogen, folglich konnten die Container nicht umgeladen werden. Bei diesen Telefonaten ändert sich ihre Gemütslage schlagartig. Zum Glück haben wir sehr zuverlässige Partner, denen die Pünktlichkeit unserer Züge ebenso wichtig ist wie uns. Die haben die Zapfen dann mit sanfter Gewalt wieder zurechtgebogen. Trotzdem habe ich an diesem Tag wieder zwei graue Haare bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch
Das Interview führte Christopher Harms