Interview von Jonas Ölke
Allianz pro Schiene: Die NAJU setzt sich für eine ökologisch und sozial nachhaltige Verkehrswende ein. Was bedeutet das für euch?
Christoph Röttgers: Das bedeutet für uns, dass die dringend nötige klima- und naturverträgliche Ausgestaltung der Mobilitätspolitik nicht auf Kosten sozialer Aspekte gehen darf. Denn aus unserer Sicht kann eine ökologisch nachhaltige Mobilitätswende sogar zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen. Ein Beispiel: Unsere Forderung nach einer Abkehr vom motorisierten Individualverkehr verbinden wir mit der Forderung, den öffentlichen Personenverkehr zu fördern und nach Möglichkeit kostenfrei nutzbar zu machen. Das würde dem Klima ebenso nutzen wie der öffentlichen Gesundheit, da es weniger Abgase und weniger Verkehrsunfälle geben würde, und für viele Menschen zudem komfortabler und günstiger sein.
Nehmen wir an, eure Forderungen werden umgesetzt, die Wende gelingt. Welche Folgen hätte das für die Aktions- und Lebensräume von Kindern und Jugendlichen?
Wir sehen hier sowohl kurzfristige als auch langfristige Vorteile für Kinder und Jugendliche. Wenn es weniger motorisierten Individualverkehr und einen stärkeren öffentlichen Personenverkehr gibt, würde das direkt zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr und einer höheren Mobilität im eigenen Umfeld führen. Kinder und Jugendliche erhalten so mehr Freiräume für die eigene Entfaltung und haben eine bessere Möglichkeit zur sozialen Teilhabe. Langfristig wird eine nachhaltige Mobilitätswende zudem das Klima und die biologische Vielfalt schützen, wovon sowohl die jungen Menschen heute als auch nachfolgende Generationen profitieren würden.
Mit über 80.000 Mitgliedern ist die Naturschutzjugend (NAJU) einer der größten Jugendumweltverbände Deutschlands. Sie ist der eigenständige Kinder- und Jugendverband des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) und seiner bayrischen Partnerorganisation Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV).
Das Themenheft „Mobilität“ des „Heißkalt-Magazins“ für junge Menschen rund um das Thema Klimaschutz, mit Selbsttest zum Verkehrsverhalten finden Sie hier. |
Wie würde der Mobilitätsalltag eines Grundschulkindes in einem solchen Zukunftsszenario aussehen?
In einem solchen Szenario wäre der Schulweg eines Kindes direkt sicherer, da es weniger stark befahrene Straßen gäbe. Es wäre also viel einfacher, zu Fuß oder mit dem Rad zur Schule zu gelangen – oder natürlich mit einem modernen und klimafreundlichen Schulbus. Der reduzierte motorisierte Individualverkehr würde es zudem ermöglichen, Straßenflächen umzuwidmen, beispielsweise in Begegnungszonen oder Spielstraßen. Dementsprechend könnte sich das Kind im eigenen Wohnumfeld besser und sicherer austoben. Und durch einen dichteren Takt im öffentlichen Personenverkehr hätte es außerdem mehr Möglichkeiten, Freund*innen und Verwandte zu besuchen – auch unabhängig von den Möglichkeiten der Eltern.
Durch Mobilitäts- und Verkehrsbildung sollen Schülerinnen und Schüler auch zu einer aktiven Rolle in der Verkehrsraumgestaltung befähigt werden. Wie könnten Kinder und Jugendliche konkret an der Umsetzung der Verkehrswende beteiligt werden?
Ein wichtiger Schritt wäre es, Kinder und Jugendliche aktiv in Entscheidungsprozesse einzubeziehen – direkt oder über die passenden Strukturen der Kinder- und Jugendverbandsarbeit. Zu häufig passiert es leider noch, dass über junge Menschen statt mit jungen Menschen gesprochen wird. Wie ein guter Partizipationsprozess dabei aussehen kann, hängt natürlich ganz davon ab, um was für ein Projekt es geht. Wichtig ist uns aber in jedem Fall, dass es sich nicht um eine Scheinpartizipation handelt, deren Ziel lediglich ein schönes Foto für die Zeitung und die Social Media-Kanäle der beteiligten erwachsenen Akteur*innen ist.
Was können Aufgabenträger des ÖV und Schienenverkehrsunternehmen schon heute tun um den öffentlichen Verkehr für Kinder und Jugendliche attraktiver zu gestalten?
Vom kostenlosen Schülerticket im regionalen Verkehrsverbund bis hin zum Interrail-Ticket, dass es jungen Erwachsenen ermöglicht, für wenig Geld viel von Europa zu erkunden, gibt es da schon einige positive Beispiele. Es sollte immer das Ziel sein, jungen Menschen mit ihren eingeschränkten finanziellen Ressourcen eine hohe Mobilität zu ermöglichen und sie so schon früh für den öffentlichen Verkehr zu begeistern. Gleichzeitig ist es aber natürlich auch nötig, den öffentlichen Verkehr durch eine hohe Taktdichte, Sicherheit, Sauberkeit und Komfort attraktiv zu gestalten – und davon profitieren dann nicht nur junge Verkehrsteilnehmer*innen.
Das Umweltbewusstsein hat zuletzt insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zugenommen. Gleichzeitig sinkt der Anteil der selbständigen Mobilität, Bring- und Holfahrten durch das „Elterntaxi“ sind häufiger als noch zur Jahrtausendwende. Wird auf den Sinneswandel der jungen Generation auch ein Verhaltenswandel der Älteren folgen?
Ob aus nachhaltigem Denken auch nachhaltiges Handeln wird, hängt ja immer von den Möglichkeiten ab, die man zur Verfügung hat. Wenn der aktuelle Status Quo erhalten bleibt – volle und gefährliche Straßen, schlechte bis nicht vorhandene Radwege, ausgedünnter ÖPNV-Fahrplan mit teilweise teuren Fahrkarten – wird sich leider wenig ändern. Wenn aber an den richtigen Stellschrauben angesetzt wird, kann das Potenzial zur nachhaltigen Verkehrsteilnahme auch gut und schnell genutzt werden. Und da sind natürlich vor allem die Älteren in der Pflicht, die betreffenden Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.
Im ländlichen Raum sind Kinder und Jugendliche besonders abhängig von der Verkehrsmittelwahl der Eltern. Was muss getan werden um auch hier für mehr Selbständigkeit in der Fortbewegung zu sorgen?
Auch hier würden wieder viele Maßnahmen helfen, von denen ebenso ältere Verkehrsteilnehmer*innen profitieren würden, wie moderne, komfortable Fahrzeuge, günstige Fahrkarten und ein dichterer und verlässlicher Fahrplan. Bei letzterem sollte auch speziell auf Bedürfnisse junger Menschen Rücksicht genommen werden, beispielsweise die Erreichbarkeit von Jugendzentren und Schwimmbädern nach der Schule oder von Kinos und Bars am Abend. Und auch auf dem Land sollte beispielsweise das Radwegenetz stärker ausgebaut werden. Dadurch wäre es möglich, mehr Wege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem eigenen Fahrrad zurückzulegen.
Zum Abschluss ein Gedankenspiel: Die NAJU stellt den nächsten Bundesminister für Verkehr. Was ist eure erste Amtshandlung?
Gute Frage, denn es gibt viel zu tun. Ich würde mich wahrscheinlich zwischen einer Initiative zur Reduzierung des Flugverkehrs und einer Initiative zur Schaffung eines grenzüberschreitend leistungsstarken europäischen Schienenfernverkehrs entscheiden müssen – wobei beides natürlich zusammen gedacht werden muss. Beides sind wichtige Bestandteile einer klima- und naturverträglichen Mobilität, die nicht auf Kosten der jungen Generation geht.
Vielen Dank für das Gespräch.
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