Sehr geehrte Frau Deparnay-Grunenberg, wir haben uns gefreut, waren aber auch angenehm überrascht über die Ankündigung der EU-Kommission, das Jahr 2021 zum „Jahr der Schiene“ zu erklären. Gibt es solche Themenjahre denn häufiger?
Die EU legt seit 2006 fast jedes Jahr einen Schwerpunkt fest. Das letzte Themenjahr war zum Beispiel 2018 das Europäische Jahr des Kulturerbes. Dass die Schiene jetzt im Mittelpunkt stehen soll, ist durchaus ein gewichtiges Zeichen der EU und eine große Ehre.
Was dürfen wir uns von diesem Jahr erwarten?
Für uns ist das Jahr zweigleisig aufgebaut. Museen oder Kulturstätten sollen sich bspw. mit der Schiene als Kulturgut befassen. Das soll europaweit auch bis auf Gemeindeebene getragen werden. Als Berichterstatterin des EU-Parlaments will ich aber auch ein Augenmerk auf die politische Diskussion lenken: Was brauchen wir ganz konkret, um die Schiene voranzubringen? Welche Widerstände gilt es zu überwinden? Ich möchte beide Aspekte voranbringen.
Glauben Sie, dass wir durch dieses Themenjahr Menschen für die Schiene begeistern?
Davon bin ich überzeugt, denn die Schiene verbindet Menschen. Bahnfahren beinhaltet immer Begegnungen zwischen Menschen. Ich finde es schade, wenn die Bahn nur technisch und wirtschaftsorientiert betrachtet wird und nicht als Kulturgut. Hier ist die neue Generation von Fridays for Future schon weiter.
Welche Maßnahmen sind denn in Deutschland im nächsten Jahr geplant?
Mir schwebt ein Themen-Dreiklang aus Kulturgeschichte, Wandel und Klimaschutz vor. Das ist unser Angebot an Kulturinstitutionen und Gemeinden, das Thema Schiene noch einmal genauer zu beleuchten. Dafür möchte ich einen ambitionierten Bericht zusammen mit den anderen Schattenberichterstattern für die finalen Verhandlungen mit den Mitgliedsländern und der Kommission vorlegen. Legislative Maßnahmen können leider mit dem Bericht nicht eingefordert werden, aber wir werden in diesem Rahmen dazu ermutigen.
Können Sie uns denn einen Einblick in eine konkrete Maßnahme geben?
Für uns Grüne ist das Nachtzugnetz sehr wichtig. Das Thema ist auch in der europäischen Jugend sehr präsent und beliebt. Wir schlagen daher ein Pilotprojekt vor, Nachtzüge in den Farben und mit den Sternen der EU zu schmücken und zu fördern. Wir hoffen, dass dieser Wunsch im Jahr der Scheine leichter in Erfüllung geht. So wollen wir auch die grenzüberschreitende Verbindung der Bahnen in der EU visualisieren.
Was sind aus Sicht der Parlamentarier die wichtigsten politischen Weichenstellungen für die Schiene?
Ich kann natürlich nicht für alle Parlamentarier sprechen, aber durch den Recovery Fund und den New Green Deal sollten wesentliche Gelder und Unterstützung in die Schiene fließen. Wichtig ist dabei allerdings, dass wir auf faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern schauen. Wir müssen hier nochmal an die hohen Trassenpreise (Schienenmaut) ran.
Haben Sie dabei auch den Güterverkehr im Blick?
Ja auf jeden Fall. Erst durch das EU-Parlament kam das Themenfeld Digitalisierung in den Bericht. Das beinhaltet natürlich auch die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung. Das muss von der EU im nächsten Jahr unbedingt angegangen werden.
Was muss geschehen, damit auf den Gleisen nicht immer wieder an den Staatengrenzen Schluss ist mit europäischen Gemeinsamkeiten?
Das ist ein großes Thema, da jeder Staat immer noch sein eigenes Schienennetz plant und Investitionsmittel eher national einsetzt. Wir müssen auch vermeintlich kleinere Projekte stützen, die eine große Netzwirkung entfalten. So können wir schnell, einen echten europäischen Mehrwert schaffen und den unwirksamen Flickenteppich im Schienennetz hinter uns lassen.
Was wünschen Sie sich von Ihren Parlamentarier-Kollegen in der Verkehrspolitik?
Momentan schauen natürlich viele aufgrund der Pandemie etwas ängstlich nach vorne. Ich wünsch mir, dass wir die jetzige Situation ebenso als Chance für den Wandel begreifen. Wandel bedeutet auch, dass man manche Dinge hinter sich lassen muss. Ich hoffe, ich kann meinen Beitrag dazu leisten, dass das EU-Parlament mutig genug ist, neue Wege zu gehen und nicht jeder wieder seine gewohnten Pfade einschlägt.
Vielen Dank für das Interview.