Berlin, den 25. August 2015. Während Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt inzwischen ganz offen für eine Regelzulassung von Gigalinern auf deutschen Straßen wirbt, haben sich hochrangige Verkehrspolitiker aus Deutschland und der EU gegen Riesen-Laster ausgesprochen. Auf einer Demonstration am Brandenburger Tor, zu der unter anderem die Allianz pro Schiene, die EVG, der ökologische Verkehrsclub VCD und die Automobilclubs ACV und ACE aufgerufen hatten, kritisierte der Verkehrsausschussvorsitzende im EU-Parlament, Michael Cramer, „den Gigaliner als verkehrspolitischen Unsinn“. „Riesen-Lkw sind eine Gefahr für die Verlagerungsziele der EU“, sagte Cramer während der Kundgebung am Dienstag in Berlin. Auch Martin Burkert, Verkehrsausschussvorsitzender des Deutschen Bundestags, wandte sich gegen die Pläne des Bundes, überlange Lastwagen künftig durch Deutschland rollen zu lassen. „Gigaliner sind kein Beitrag zu einer nachhaltigen Verkehrspolitik“, sagte Burkert. „Der Verkehrsminister wäre gut beraten, nicht nur auf die Lkw-Lobby zu hören, die immer mehr und größere Laster unter dem Öko-Deckmantel verkaufen will.“
Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, warf der Bundesregierung vor, ihre eigenen Verlagerungs- und Klimaziele zu hintertreiben. „Die Einführung von Riesen-Lkw wird die ohnehin sehr alarmierende CO2-Bilanz des Verkehrssektors weiter verschlimmern“, sagte Flege. „Je billiger die Politik den Straßengüterverkehr macht, desto mehr klimaschädliche Lkw werden wir am Ende auf unseren Straßen haben.“ Die Vertreter der Autoclubs ACE und ACV warnten davor, die Sicherheit der Autofahrer für die Interessen einiger Großspeditionen zu opfern. „Mehr als drei Viertel der Deutschen wollen keine Riesen-Lkw auf unseren Straßen, weil sie Angst um ihre Sicherheit haben“, sagte ACV-Sprecher Jürgen Koglin. „An jedem fünften tödlichen Unfall ist schon jetzt ein Lkw beteiligt“, sagte Matthias Knobloch vom ACE. „Statt einer Politik für mehr Sicherheit im Straßenverkehr erleben wir mit der Einführung von Riesen-Lkw das Gegenteil“, sagte Knobloch. Der Bundesvorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs VCD, Michael Ziesak, forderte den Bund auf, die Pläne für den Regelbetrieb von Gigalinern auf Eis zu legen: „Gigaliner fahren im dünnbesiedelten Norden von Skandinavien. Für Deutschland sind sie zu groß und zu gefährlich, unsere Infrastruktur ist weder für 60-Tonner, noch für eine Lkw-Länge von 25,25 Meter ausgelegt.“ Für die kostspieligen Umbauten von Tunneln, Brücken und Rastplätzen werde außerdem die Allgemeinheit zur Kasse gebeten, während die Gewinne an die Transportindustrie gingen.
Jörg Hensel, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von DB Schenker Rail, rechnet mit dramatischen Arbeitsplatzeinbußen beim Schienengüterverkehr. „Die Lastwagen-Branche bekommt durch den Riesen-Lkw wettbewerbsverzerrende Kostenvorteile von bis zu 30 Prozent, während ein umweltfreundlicher Verkehrsträger wie die Güterbahn durch bundespolitische Rahmenbedingungen nach wie vor stark benachteiligt wird“, sagte Hensel. Nach einer aktuellen Studie der TH Wildau im Auftrag der Allianz pro Schiene würden durch die Zulassung von Riesen-Lkw mehr als 8 Milliarden Tonnenkilometer von der Schiene auf die Straße verlagert – das sind 7,6 Prozent des Schienengüterverkehrs. Dies entspricht pro Tag 7000 zusätzlichen Lkw-Fahrten. 1.000 Jobs sind bei den Güterbahnen in Gefahr. Der Eisenbahn-Einzelwagenverkehr stünde laut Studie insgesamt auf der Kippe. Durch die zu erwartenden großen Nachfrageeinbrüche durch Riesen-Lkw könnte dieses Segment vollständig unrentabel werden. Die Verluste bei der Transportleistung und den Arbeitsplätzen wären dann um ein Vielfaches höher. Derzeit hat der Einzelwagenverkehr einen Anteil von 25 Prozent an der Transportleistung des gesamten Schienengüterverkehrs.
1. Was ist eigentlich ein Riesen-Lkw?
Sie heißen Gigaliner, EuroCombi, Ökoliner oder Lang-Lkw, doch hinter den harmlosen Namen verstecken sich noch längere und schwerere Lastwagen. Deutschland erlaubt 25 Meter lange und bis zu 44 Tonnen schwere Lastwagen in einem sogenannten Feldversuch. Doch überall dort in Europa, wo Riesen-Lkw eingesetzt werden, wiegen sie bereits 60 Tonnen – etwa in den Niederlanden oder Dänemark. Schweden hat angekündigt, das Lkw-Gewicht von 60 auf 64 Tonnen zu erhöhen – Versuche mit 30 Meter langen und 90 Tonnen schweren Lkw laufen.
2. Wo fahren Gigaliner in Europa?
In Finnland und Schweden fahren Riesen-Lkw schon lange. Doch die weiträumigen, relativ dünn besiedelten skandinavischen Regionen mit wenig Straßenverkehr sind nicht zu vergleichen mit dem Rest Europas. Dort ist das Straßennetz dicht gebaut und stark befahren – für Gigaliner nicht geeignet. Auch Dänemark und die Niederlande testen 25 Meter Lkw mit 60 Tonnen.
3. Wo fahren Gigaliner in Deutschland?
Das Bundesverkehrsministerium hat im Dezember 2011 eine Ausnahmeverordnung erlassen, um Riesen-Lkw zu testen. Die Verordnung sieht vor, dass Gigaliner in den teilnehmenden Bundesländern neben Autobahnen und Bundesstraßen auch auf einer Vielzahl von Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen fahren dürfen. Die Testfahrten sind auf fünf Jahre – bis Ende 2016 – angesetzt.
Bundesland | Dafür/Dagegen | Strecken |
Baden-Württemberg | Dafür | Strecken freigegeben (trotz Ablehnung im Koalitionsvertrag) |
Bayern | Dafür | Strecken freigegeben |
Hamburg | Dafür | Strecken freigegeben |
Hessen | Dafür | Strecken freigegeben |
Mecklenburg-Vorp. | Dafür | Strecken freigegeben |
Niedersachsen | Dafür | Strecken freigegeben |
Sachsen | Dafür | Strecken freigegeben |
Berlin | Dagegen | keine Strecken freigegeben |
Brandenburg | Dagegen | keine Strecken freigegeben |
Bremen | Dagegen | einzelne Strecken freigegeben |
Nordrhein-Westf. | Dagegen | keine Strecken freigegeben, verlängerte Sattelanhänger erlaubt |
Rheinland-Pfalz | Dagegen | keine Strecken freigegeben |
Saarland | Dagegen | keine Strecken freigegeben |
Sachsen-Anhalt | Dagegen | nur Transitverkehr auf der Autobahn |
Schleswig-Holstein | Dagegen | bestehende Strecken von Vorgängerregierung freigegeben |
Thüringen | Dagegen | bestehende Strecken von Vorgängerregierung freigegeben |
Die Befürworter übergroßer Lkw werben gerne mit Umweltargumenten, in Wirklichkeit versprechen sie sich aber eine Kostenersparnis im Lkw-Transport von bis zu 30 Prozent. Zu den Befürwortern von übergroßen Lkw gehört der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Bundesverband des Groß- und Außenhandels (BGA) und weitere Verbände des Straßentransportgewerbes.
5. Was befürchten die Gegner?
Die Gegner von übergroßen Lkw befürchten, dass durch die Verbilligung des Lkw-Verkehrs durch Gigaliner ein Anreiz für mehr Straßengüterverkehr geschaffen wird. Durch den Kostenvorteil der Gigaliner könnten Güter von umweltfreundlichen Verkehrsträgern zurück auf die Straße verlagert werden. Das Ergebnis wären mehr Lkw-Fahrten und eine größere Umweltbelastung. Zu den Gegnern von übergroßen Lkw zählen die in der Allianz pro Schiene zusammengeschlossenen Automobilclubs, Umweltverbände und Eisenbahnen sowie der Deutsche Städtetag und die Deutsche Polizeigewerkschaft. Auf EU-Ebene haben sich die Gegner zum Bündnis No Mega Trucks zusammengeschlossen.
6. Wie entscheidet die EU in Sachen Riesen-Lkw?
EU-Parlament und EU-Verkehrsminister haben den Vorschlag der EU-Kommission zurückgewiesen, grenzüberschreitende Fahrten von Riesen-Lkw zwischen Nachbarstaaten zu erlauben. Während in einigen Mitgliedsstaaten Versuche mit Riesen-Lkw laufen, zeigt die EU dem Gigaliner nun das Stoppschild und schlägt mit Sicherheitsverbesserungen und aerodynamischen Optimierungen bei den Fahrzeugmaßen einen grundsätzlich anderen Weg ein.