Liebe Frau Burkhardt, herzlichen Glückwunsch – Sie sind Eisenbahnerin mit Herz!
Burkhardt: Ich bin überrascht, weil ja viele Menschen helfend unterwegs sind. Und ich bin ja auch erst vor einem dreiviertel Jahr zur Bahn gekommen. Ich freue mich aber sehr!
Erzählen Sie, was im Mai 2020 passiert ist.
Burkhardt: Wir hatten gerade eine Phase mit super Wetter und einer Öffnung in der Corona-Pandemie. Die Züge waren voll. Die Mutter mit ihren zwei kleinen Kindern kam von München zu uns in den Norden. Aber wir hatten Verspätung. Der Bus zum Fähranleger nach Langeoog konnte nicht warten. Taxen waren auch nicht vor Ort. Da habe ich bei der Fähre angerufen – aber die wollten pünktlich ablegen. Und damit hätte die kleine Familie die Fähre verpasst.
Entsprechend verzweifelt war die Mutter…
Burkhardt: Es war ihre allererste Zugfahrt. Sie war zuvor noch nie in ihrem Leben mit der Bahn gefahren. Und dann das. Sie hatten auch nichts zu essen und zu trinken mit. Und die junge Frau wurde immer verzweifelter.
Konnte sie nicht eine Fähre später nehmen?
Burkhardt: Dann hätte sie das ganze Begrüßungsprogramm der Mutter-Kind-Kur verpasst. Sie wäre auf Langeoog nicht wie alle anderen abgeholt worden für die gemeinsame Kutschfahrt. Und sie hätte über die ganze Insel mit den beiden Kindern laufen müssen.
Wann war für Sie klar, dass Sie aktiv werden müssen?
Burkhardt: Die Kinder waren sehr lieb. Aber irgendwann fingen sie an zu weinen, weil sie sahen, wie bei ihrer Mutter die Tränen flossen. Da habe ich gesagt: Nein, da muss ich helfen und sie privat mit meinem Auto zur Fähre bringen. Meine Kollegen waren sofort einverstanden. Der Lokführer hat gewartet. So konnten wir nach dem Aussteigen den Bahnsteig schnell zweimal überqueren – erst zu Fuß zum Parkplatz und dann mit dem Auto zurück Richtung Küste. Erst dann ist er mit dem Zug weitergefahren. Sonst hätten wir es nicht geschafft.
Da ging es um jede Minute…
Burkhardt: Wirklich. Ausgerechnet an dem Tag war die Küstenstraße gesperrt. Wir mussten einen Umweg nehmen. Zwei Minuten, bevor die Fähre ablegte, kamen wir an.
Vielleicht haben Sie mit diesem Einsatz in Ihrer Freizeit die Mutter ja zur begeisterten Bahnfahrerin gemacht…
Burkhardt: Das hoffe ich! Einmal Bahn und nie wieder – das wollte ich auf keinen Fall zulassen.
Der einzig Leidtragende war Ihr Mann.
Burkhardt: Wir wollten eigentlich abends zusammen essen gehen. Aber dafür wurde es zu spät. Da habe ich ihn angerufen: Heute musst Du Dir eine Pizza im Ofen warmmachen.
Und Ihr Mann – war der einverstanden?
Burkhardt: Der kann das verstehen. Er ist inzwischen auch Zugbegleiter. Nach meinem schönen Start hat er vor einem Jahr seine Ausbildung angefangen. Jetzt macht es ihm genauso Spaß wie mir.
Wie sind Sie denn zur Bahn gekommen?
Burkhardt: Mit 57 bin ich darein geschlittert. Lange habe ich als Kosmetikerin gearbeitet und in vielen anderen Dienstleistungsjobs, etwa in Hotels. Aber in diesen Zeiten ist es ja wichtig, etwas für sein Rentenkonto zu tun. Also habe ich mich bei der Bahn beworben. Zwei Tage später hatte ich ein Vorstellungsgespräch und zwei Tage danach habe ich angefangen.
Seiteneinsteigerin mit 57!
Burkhardt: Mein Mann war sogar ein bisschen älter, als er anfing. Jetzt sind wir drei in der Bahnfamilie. Der Bruder meines Mannes ist seit 45 Jahren bei der Bahn. Der hat als Schlosser angefangen.
Toll, wenn man kurz vor der Rente eine neue Chance bekommt.
Burkhardt: Auf jeden Fall. Wir sind ein bisschen älter, dafür aber auch verlässlicher. Die Kinder sind nicht mehr zu Hause, so dass wir uns darum nicht mehr kümmern müssen. Das ist das Schöne beim Wechsel in die Bahnbranche: Es muss der Wille da sein und dann kriegt man auch eine Chance.