Auf dem ITS Weltkongress in Hamburg wurden in diesem Jahr zwei Preisträgerinnen mit dem Clara Jaschke Innovationspreis ausgezeichnet. Die Jury hat aus über 40 Einsendungen ausgewählt. In der vierten Auflage des Wettbewerbs gewannen eine Innovation aus dem Schienengüterverkehr und eine aus dem Personenverkehr.
Gerade in Corona-Zeiten ist es für Fahrgäste besonders wichtig, Enge in Zügen wenn immer möglich zu vermeiden. Dazu leistet Julia Kuhfuß mit ihrer Innovation einen wichtigen Beitrag. Die Messung der Auslastung mit Hilfe von Lichtschranken statt wie heute noch üblich mit Türsensoren stellt einen Fortschritt dar, von dem vor allem die Fahrgäste profitieren. Sie können sich mit Hilfe der Zusatzinformationen darauf einstellen, welcher Zug oder welcher Wagen noch genügend Platz bietet. Auch die Pünktlichkeit steigt, wenn die Fahrgäste mit Hilfe des Systems schneller ein- und aussteigen können. Ein großer Vorteil der Erfindung ist darüber hinaus, dass sie fahrzeugunabhängig und damit branchenweit zum Einsatz kommen kann. Und sie benötigt keinen Eingriff in die klassische Schienen-Infrastruktur, so dass sie schnell und ohne großen Aufwand umgesetzt werden kann.
Die dynamische und intelligente Steuerung der Auslastung gehört zu den besonderen Chancen durch eine Digitalisierung. Julia Kuhfuß sorgt mit ihrem Erfinderinnengeist dafür, dass die Schiene dieses Potential nutzt. Bereits während ihres Studiums beschäftigte sie sich mit digitalen Lösungen in Smart Cities. Bei der S-Bahn Hamburg setzt sie ihr Know-how, ihre Leidenschaft für IT und ihr Ideenreichtum zum Wohle der Kunden und des Bahnbetriebs insgesamt ein. Mit ihrer Innovation gewinnt der Personenverkehr auf der Schiene noch einmal an Leistungsfähigkeit und Attraktivität.
Frau Kuhfuß, herzlichen Glückwunsch zum Clara-Jaschke-Preis. Können Sie ihre Innovation ganz kurz beschreiben?
Julia Kuhfuß: Ziel der Innovation ist es, durch eine dynamische und intelligente Auslastungssteuerung mehr Fahrgäste besser an ihr Ziel zu bringen – und das auf der bestehenden Infrastruktur. Wir haben mit unserem Entwicklungspartner ein fahrzeugunabhängiges System entwickelt, welches uns in Echtzeit die Auslastung der Wagen liefert.
Fahrzeugmessung mittels Licht – das ist Ihre Innovation. Wie genau funktioniert das?
Julia Kuhfuß: Eigentlich ganz einfach – wir bauen eine Lichtschranke am Gleis auf. Das Ganze folgt dem Prinzip, dass bei steigender Fahrgastanzahl immer weniger Licht durch die Fenster kommt. Unsere Lichtschranke misst also einfach wie viele Lichtpunkte von der einen zur anderen Seite ankommen, während der Zug daran vorbeifährt.
Wie ermitteln Sie aus Lichtsignalen das Volumen im Inneren der Wagen?
Julia Kuhfuß: Aus unseren Lichtpunkten entsteht ein Histogramm, welches wir in einen Besetzungswert umwandeln können. Um die Genauigkeit des Systems auch im Vergleich mit anderen Verfahren zu ermitteln, wurden immer wieder manuelle Personenzählungen durchgeführt und die Werte miteinander abgeglichen. Dabei haben wir schon zu Beginn des Projektes sehr gute Ergebnisse erzielt.
Also eine Innovation, von der direkt die Verbraucher profitieren. Was genau verbessert sich für die Fahrgäste?
Julia Kuhfuß: Ziel ist es, unseren Fahrgästen diese wichtige Zusatzinformation zukommen zu lassen. In Zeiten von Corona hat dieses Datum – wann ist es wo besonders voll – erneut an Bedeutung gewonnen. Wir stellen uns vor, die Echtzeitauslastung unserer Züge zum Beispiel am Bahnsteig anzuzeigen, darüber hinaus aber auch in den digitalen Kundeninformationssystemen einzubinden. Damit können sich Kunden bereits vor der Fahrt für einen Zug bzw. vor Ort für einen Wagen entscheiden, der zu den persönlichen Bedürfnissen passt.
Ist das auch etwas, was Sie persönlich antreibt?
Julia Kuhfuß: Ja, ich bin natürlich schon lange vor meiner Tätigkeit Kundin bei der
S-Bahn und habe mir immer Informationen zur Auslastung der Züge gewünscht. Umso schöner ist es nun auch für mich persönlich, ein Innovationsprojekt wie dieses von der ersten Idee über erste Prototypen bis hin zum heutigen Produkt zu begleiten. Vor allem würde mich aber freuen, wenn sich unsere Fahrgäste von einem solchen Angebot begeistern lassen würden.
Was motiviert Sie als Innovations- und Projektmanagerin, zukunftsträchtige Themen umzusetzen?
Julia Kuhfuß: Das Thema Mobilität beschäftigt mich schon immer. Während meines Masterstudiums habe ich mich bereits mit digitalen Lösungen im Bereich Smart Cities beschäftigt. Als Hamburgerin möchte ich meine Stadt mitgestalten und relevante Neuerungen vorantreiben. Dabei treiben mich vor allem innovative und clevere Lösungen an, in denen ich meine IT-Affinität und meinen Ideenreichtum gewinnbringend für unsere Kunden und den Bahnbetrieb einbringen kann. Bei der S-Bahn Hamburg kann ich genau dies tun und aus Ideen Innovationen machen.
Mehr Güter auf die Schiene – zu dieser zentralen Aufgabe für den Klimaschutz leistet die Wascosa AG mit der Erfindung des so genannten E-Car für Kühltransporte einen wichtigen Beitrag. Die Innovation erlaubt es, Waren in Güterwagen mit Strom statt mit Dieselaggregaten zu kühlen. Dieser bedeutende Fortschritt hilft, Verkehre von der Straße auf die Gleise zu verlagern und den CO2-Ausstoß des Warentransports zu reduzieren.
Mit dem Clara Jaschke Innovationspreis 2021 würdigt die Jury der Allianz pro Schiene diese Pionier-Arbeit. Die Idee kam dem Wascosa-Eigentümer Philipp Müller schon Mitte der 2000er Jahre. Bis zur Realisierung war es ein weiter Weg. Nötig dafür war eine echte Teamarbeit, aber auch und ganz besonders das Engagement der Preisträgerin Irmhild Saabel, Leiterin Business Development und Mitglied der Geschäftsleitung der Wascosa AG. Mit ihrem strategischen Weitblick, ihrer Überzeugungskraft und ihrem unermüdlichen Einsatz für eine Vision sorgte sie dafür, dass ein großartiges Konzept in die Praxis umgesetzt werden kann.
Durch die Innovation leitet Wascosa den Strom von den Loks der Güterzüge zu den Wagen, um damit Kühlbehälter zu versorgen. Dieses Verfahren ermöglicht auf der Schiene den Umstieg von Diesel auf Strom bei der Kühlung insbesondere auf langen Strecken. Damit wird der Transport von Kühlware auf der Schiene leiser, umweltfreundlicher und gewinnt an Attraktivität für viele Kunden, die bisher noch auf den Lkw setzen. So schafft die Innovation die technische Voraussetzung, um mehr Waren mit dem Zug statt mit dem Lkw zu transportieren und die Klimalast des Verkehrs spürbar zu senken.
Frau Saabel, Kühlware wird heutzutage ganz überwiegend mit Lkw transportiert. Warum spielt die Schiene derzeit in diesem Segment noch eine so kleine Rolle?
Irmhild Saabel: Anders als Wagen eines Personenzugs sind Güterwagen nicht mit Strom ausgestattet. Für die Kühlung brauchen Sie also Dieselaggregate. Die müssen aber gerade auf längeren Strecken häufig nachgefüllt werden, was die Effizienz mindert und auch wenig umweltfreundlich ist. Zudem gibt es Probleme mit dem Lärmschutz durch die Dieselaggregate. Die Umrüstung der Güterwagen zu einer Ausstattung mit Strom hat die Branche lange gescheut, da die Kosten dafür sehr hoch sind.
Damit aber will sich die Wascosa AG nicht abfinden. Mit welcher Innovation wollen Sie das Problem angehen?
Irmhild Saabel: Mit unserer Innovation rüsten wir die Güterwagen ähnlich wie die Personenwagen mit einer Zugsammelschiene aus. Das ist eine 1000-Volt-Leitung, die gekuppelt wird mit einer Standardkupplung zwischen den einzelnen Wagen. Den Strom erhält sie von der Lok. Auf den Wagen wird der Strom in 400 Volt Standard-Industriestrom umgewandelt, den die Kühlbehälter benötigen.
Wie ist Wascosa auf dieses Konzept gekommen? Wer hat die Idee entwickelt?
Irmhild Saabel: Die Idee kam unserem Eigentümer Philipp Müller schon Mitte der 2000er Jahre. Bereits 2006 hat Wascosa dafür das erste Patent in der Schweiz angemeldet. In den vergangenen fünf Jahren haben wir das Konzept mehr und mehr in die Realität umgesetzt. Das Ganze ist das Ergebnis einer echten Teamarbeit, an der viele in unserem Unternehmen mitwirken. Wir kooperieren zudem mit externen Fachleuten – beispielsweise mit Siemens Mobility und mit der TU Berlin, die uns da tatkräftig unterstützen. Auch das Schweizer Verkehrsministerium fördert das Projekt, weil die Schweizer Bundesregierung ein großes Interesse an der Verlagerung auf die Schiene und auch an der Lärmminderung hat.
Wie weit sind Sie von der Genehmigung noch entfernt?
Irmhild Saabel: Wir müssen bei der Zulassung neue Wege gehen, da man bisher bei der Zulassung von Güterwagen gar nicht davon ausgegangen ist, dass diese mit Strom ausgestattet sein können. Zudem betrifft die Innovation die elektromagnetische Verträglichkeit. Damit ist unter Umständen die Sicherheit der Infrastruktur berührt. Die Regeln dafür sind in den einzelnen Mitgliedsländern der EU sehr unterschiedlich.
Gibt es die Chance auf eine europaweite Zulassung?
Irmhild Saabel: Ja. Seit der Etablierung der Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA) als zentrale Zulassungsbehörde in Europa für den Bahnverkehr laufen die Zulassungsprozesse für den Schienengüterverkehr zentral über das ERA. 2020 haben wir uns deshalb entschieden, die landesbezogenen Zulassungen zu stoppen. Im Jahr 2021 haben wir den Antrag für eine europaweite Zulassung bei der ERA gestellt. Hier stehen wir seit Monaten im regen Austausch mit der ERA.
Wo fahren heute die Güterwagen mit der elektrischen Kühlung?
Irmhild Saabel: Im Rahmen des mit dem Schweizerischen Bundesamt für Verkehr abgestimmten Projektplanes laufen aktuell diverse Testverkehre. In Skandinavien, Deutschland, Österreich und der Schweiz haben wir dafür bereits die landesbezogene Zulassung erhalten. In Ländern wie z.B. Italien oder bald auch in Belgien können wir mittels Spezialbewilligungen Testverkehre durchführen.
Wie groß schätzen Sie das Potenzial für diese Erfindung ein?
Irmhild Saabel: Das Potenzial ist sehr groß. Wir gehen davon aus, dass mehrere tausend Wagen in Europa damit ausgestattet werden können. Viele Verkehre in diesem Segment gehen heute über die Straße. Doch dort ist die Kapazitätsgrenze längst erreicht oder überschritten. Für die Transporte über große Strecken etwa auf der Nord-Süd-Verbindung von den Seehäfen wie Rotterdam nach Italien oder auch auf den großen Ost-West-Strecken interessieren sich sehr viele Unternehmen für einen Kühltransport auf der Schiene.
Kann der Güterwagen mit Stromversorgung auch die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung erleichtern?
Irmhild Saabel: Das könnte im zweiten Schritt so sein. Wenn man einmal die Güterwagen mit Strom versorgt hat, erschließen sich dadurch auch viele weitere Anwendungsmöglichkeiten.