Liebe Leserinnen und Leser,
der Schienenverkehr steht vor riesigen Herausforderungen. Die Infrastruktur hält nicht Schritt mit dem Verkehrswachstum. Tröstlich: Wir wissen, was zu tun ist. Gemeinsam mit dem Bund haben wir den Masterplan Schienengüterverkehr erarbeitet, den Masterplan Schienenverkehr und den Deutschlandtakt. Voller Tatendrang und Ungeduld wollten wir uns mit der frisch gebildeten Ampelkoalition an die Umsetzung machen – und dann kam der Ukraine-Krieg. Alte Gewissheiten sind seitdem endgültig überholt. Etwa die Altkanzler Schmidt zugeschriebene Aussage, Deutschland könne sich nur eines leisten: Bundeswehr oder Bundesbahn. Die Eisenbahn hatte ihre Systemrelevanz schon bei Corona bewiesen. Seit dem Ukraine-Krieg ist sie unstrittig. Klima- und sozialpolitisch führt auch kein Weg am energieeffizienten Schienenverkehr vorbei. Die Umsetzung der Masterpläne ist also aktueller denn je. Dafür stehen wir – auch in bewegten Zeiten.
Viel Freude mit dem Jahresbericht wünschen
Ihr Martin Burkert, Dirk Flege und Manfred Fuhg
Inhaltsverzeichnis
Neuer Verkehrsminister und Beschleunigungskommission Schiene
Aufbruch ist ein zentrales Versprechen der neuen Regierungskoalition. Und der ist gerade im Verkehrsbereich überfällig. Also mehr als genug Gesprächsstoff für einen direkten Austausch mit dem neuen Bundesverkehrsminister Volker Wissing, wenige Wochen nach seinem Amtsantritt. Zentrale Botschaft, die wir dem Minister gemeinsam mit anderen Bahnverbänden überbracht haben: Es gibt beim Ausbau der Schiene kein Erkenntnisdefizit, aber viel zu wenig Tempo bei der Umsetzung.
Höchst erfreut waren wir daher, als Ende Juni endlich die Beschleunigungskommission Schiene, die auf unseren Vorschlag hin Eingang in die Koalitionsvereinbarung gefunden hatte, ihre Arbeit aufnahm. Für die Allianz pro Schiene war Dirk Flege Mitglied der Kommission, in der ausgewiesene Expertinnen und Experten aus Bahnbranche und Koalitionsfraktionen konkrete Empfehlungen erarbeiten, wie es mit dem Ausbau und der Sanierung des Schienennetzes in Deutschland schneller vorangehen kann. Eines können wir schon jetzt ankündigen: Auch bei der Umsetzung der Kommissionsempfehlungen werden wir auf Tempo drängen.
Es war eine Abstimmung am Fahrkartenautomaten: Mit dem Ansturm auf das 9-Euro-Ticket haben die Menschen eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie mehr Bus und Bahn fahren wollen, wenn die Rahmenbedingungen passen. Damit es nicht bei einem Sommermärchen bleibt, haben wir uns frühzeitig für ein Nachfolgeticket stark gemacht und feiern nun das Deutschlandticket als verkehrspolitischen Meilenstein. Doch klar ist: Ein Ticket allein macht noch keine Verkehrswende. Bund, Länder und Kommunen müssen jetzt das Angebot des ÖPNVs massiv und verlässlich ausbauen. Dafür setzen wir uns natürlich auf allen Ebenen ein, etwa mit der ersten Auflage unseres Mobilitätsbarometers. Die Ergebnisse dieser bundesweiten Befragung belegen eindrücklich, dass der Öffentliche Verkehr gemeinsam mit Fahrrad- und Fußverkehr für viele Bürgerinnen und Bürger (noch) keine wirkliche Alternative zum Auto darstellt. Damit sich dies auch in der Fläche ändert, verweisen wir unter anderem weiterhin auf das Potential von Streckenreaktivierungen. Zusammen mit dem VDV haben wir dazu eine aktuelle und erweiterte Reaktivierungsliste vorgestellt und eine Übersicht erarbeitet, wo überall in Deutschland Reaktivierungen bereits erfolgreich umgesetzt wurden.
Wir arbeiten an der Mobilitätsgarantie
Im Schienennetz knirscht und quietscht es – wir arbeiten daran, dass dieser Zustand endlich behoben wird. Ein Mittel: Wir schaffen Orientierung in der Verkehrspolitik und sorgen für öffentliche Debatten. Unser Europa-Vergleich der Investitionen ins Schienennetz ist inzwischen ein fester Termin im politischen Berlin. 124 Euro pro Person investierte Deutschland pro Kopf im Jahr 2021 in die Schieneninfrastruktur. Damit belegt eines der reichsten Länder Europas weiterhin nur einen hinteren Platz. Unsere Zahlen sind dafür ganz weit vorne: Vom Spiegel, über die Tagesschau bis hin zu Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale. Unser Pro-Kopf-Vergleich ist überall präsent und inzwischen eine feste Größe in Politik und Medien. Natürlich engagieren wir uns auch weiterhin für die Elektrifizierung und Digitalisierung des Schienennetzes. Trotz ambitionierter Koalitionsvereinbarung tut sich hier kaum etwas.
Wir kämpfen für den Netzausbau
Im Bundestag haben wir in Anhörungen dafür gestritten, ein weiteres Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einzulösen: die Einnahmen aus der Lkw-Maut auch der Schiene zugutekommen zu lassen. Bislang geht das Geld noch 1:1 zurück in die Straße. Immerhin: 2023 soll das Bundesfernstraßenmautgesetz entsprechend angepasst werden.
Der erste bundesweite Tag der Schiene am 16. und 17. September war ein voller Erfolg: Über 300 Veranstaltungen in ganz Deutschland lockten mehr als 50.000 Besucherinnen und Besucher an Bahnhöfe, auf Baustellen, in Betriebswerke und Museen. Deutschland feierte die Schiene und ließ sich von der Vielseitigkeit der Bahnbranche begeistern! Bei zahlreichen Aktionen konnten die Veranstalter sogar vor Ort und Stelle neue Fachkräfte gewinnen! Nach diesem gelungenen Auftakt ist klar: Der Tag der Schiene soll fortgesetzt werden. Unterstützung bekommen wir dafür auch seitens der Politik: Die Länder verabschiedeten auf der Verkehrsministerkonferenz einen Beschluss, in dem sie sich für die „Institutionalisierung und regelmäßige Durchführung“ des Tags der Schiene aussprechen und fordern, der Allianz pro Schiene für 2023 „ausreichende Mittel“ zur Verfügung zu stellen. Das wäre ein bedeutender Fortschritt: In diesem Jahr haben wir die Koordination des Tags der Schiene komplett aus Eigenmitteln bestritten.
Wir begeistern Menschen für die Eisenbahn
Bewegende Momente erlebten wir beim diesjährigen „Eisenbahner mit Herz“-Wettbewerb. Beim „EimiH“ werden diejenigen Eisenbahnerinnen und Eisenbahner geehrt, die sich in ihrem Beruf durch besonderes Engagement auszeichnen, die sozusagen die Extrameile gefahren sind. Das Einzigartige am Wettbewerb: Hier stehen nicht Vorgesetzte und Bahnchefs im Rampenlicht, sondern diejenigen, die tagtäglich für den komfortablen und sicheren Transport der Fahrgäste sorgen. In diesem Jahr glänzte der Goldpreis besonders. Kujtim Haziri (DB Regio) rettete einer jungen Mutter das Leben. Während viele Passanten an der bewusstlosen Frau vorbeiliefen, leistete er ohne zu zögern erste Hilfe. Auch der diesjährige Sonderpreis-Gewinner, Pasquale D’Ambrosio (National Express), hat durch seinen selbstlosen Einsatz bei der Unterstützung von der Flut betroffener Menschen im Ahrtal gezeigt, was es heißt, ein Eisenbahner mit Herz zu sein. Dementsprechend groß war die Begeisterung bei der feierlichen Preisverleihung im Kaiserbahnhof Potsdam.
Wir bringen große Gefühle auf die Bühne
Kooperation und gegenseitige Unterstützung sind das beste Rezept, um großartige Projekte mit Vorbildfunktion zu schaffen. In diesem Jahr gab es gleich mehrere Leuchtturm-Projekte, die so überzeugend waren, dass wir sie stellvertretend für Fahrgäste und Branche ausgezeichnet haben. Der Titel Bahnhof des Jahres ging nach Coburg. DB Station&Service AG und die Stadt gestalteten gemeinsam Bahnhofsgebäude, Unterführung und Umfeld neu. Dadurch ist in der Residenzstadt ein echtes Schmuckstück mit hoher Aufenthaltsqualität entstanden, das seine Gäste sicher und entspannt in die Innenstadt und zurück leitet. Kooperation ist auch ein Schlüsselwort für das Gelingen der Verkehrswende. Mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamtes haben wir im Rahmen des Projekts Verkehrswende konkret erstmalig fünf lokale Initiativen mit dem Deutschen Verkehrswendepreis ausgezeichnet. Gemeinsam haben sie, dass sie ihre Region schon heute lebenswerter machen, übertragbar sind und deshalb bundesweite Aufmerksamkeit verdienen. Mit starken Partnern ist es allen Preisträgern gelungen, die Verkehrswende regional vor Ort schon heute stattfinden zu lassen.
Wir zeichnen Leuchtturm-Projekte aus
Nach vier Jahren öffneten sich endlich wieder die Tore der InnoTrans – und wir waren mit unserem Gemeinschaftsstand zusammen mit dem VDEI und SchienenJobs mittendrin. Vier Messetage lang haben wir Politiker und Politikerinnen an unserem Stand begrüßt, uns mit Menschen aus der Branche ausgetauscht und viele Schienenfans endlich persönlich kennengelernt. Den Startschuss an unserem Stand gab SPD-Fraktionsvize Detlef Müller, mit dem wir über unser Projekt WILSON.Share sprachen. Um den Fachkräftemangel ging es auch im Talk mit PStS Michael Theurer (FDP). Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sprach mit uns auf der Bühne über die Themen Reaktivierung und Elektrifizierung, und der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) zog mit uns eine erste Bilanz der erfolgreichen Premiere des Tags der Schiene. Doch nicht nur Politiker besuchten unseren Stand. Auch unsere #TRAINfluencer waren begeistert im Messe-Einsatz und die Berufsbotschafterinnen und -botschafter warben gemeinsam mit François Bausch, Vizepremierminister Luxemburgs, für Ingenieurskarrieren in der Bahnbranche.
Wir verbinden Branche und Politik
… und bringen mit gleich zwei vom Verkehrsministerium geförderten Projekten den Digitalisierungszug ins Rollen. Nicht einmal die Hälfte ihrer Arbeitszeit verbringen viele Lokführer und Lockführerinnen mit dem eigentlichen Fahren von Zügen. Die Folge sind mangelnde Flexibilität, stehende Güterzüge und unzufriedenes Personal – für alle Beteiligten frustrierend. Diesem Missstand wollen wir mit dem Projekt „WILSON.Share“ entgegen wirken und entwickeln zusammen mit unseren Projektpartnern eine Plattform, die den unternehmensübergreifenden Personaleinsatz von Lokführer/innen vereinfacht. Doch nicht nur hier helfen Softwarelösungen. Digitale Buchungsportale gibt es neuerdings auch für den Kombinierten Verkehr (KV). Straßenspediteure können so unkompliziert Transporte im KV per Mausklick finden und direkt buchen – ein effektives Mittel also, um die Hürden für den Sprung auf die Schiene zu senken. In unserem Projekt „Truck2Train“ haben wir uns deshalb mit dem Lkw-Verband Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) zusammengetan und herausgearbeitet, wie digitale Buchungsplattformen aufgebaut sein müssen, um Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern.
Wir machen den Güterverkehr digitaler
19,6 Prozent aller Beschäftigten in der Schienenbranche sind Frauen. Das sind zwar mehr als noch 2010, aber: der Weg ist noch weit! Wir setzen uns dafür ein, dass Frauen in unserem Sektor sichtbarer – und so zu Vorbildern werden, die zum Einstieg in die Bahnbranche anregen. Mit unserem Clara Jaschke Innovationspreis zeichneten wir bereits zum fünften Mal Frauen aus, die die Mobilität von morgen erfinden. Auf großer Bühne im Rahmen der InnoTrans überreichten wir den Preis an Dr. Katrin Fischer von der DB Bahnbau Gruppe. Sie hat mit „Erdpool“ einen digitalen, unternehmensübergreifenden Marktplatz zur Abfallverwertung bei Bahnbaustellen geschaffen. Statt kostbare mineralische Rohstoffe für viel Geld zu entsorgen, können Erde, Kies und Tonstein nun auf anderen Baustellen weiterverwertet werden. Die Jury findet: Ein echter Beitrag für mehr Klimaschutz! Auch unsere Berufsbotschafterinnen der Schienenbranche zeigen, wie vielfältig und vielversprechend die Perspektiven für Frauen in der Welt der Bahnen sind. Von der Bahnspediteurin über Konzernjuristin bis hin zur Quereinsteigerin im Kundenservice: 13 weibliche Fachkräfte repräsentieren „ihren“ Beruf in der Öffentlichkeit und sind über schienenjobs.de/berufsbotschafter kontaktierbar.
Wir bieten eine Plattform für Eisenbahnerinnen
Wie können wir mehr Personen für Bahnberufe begeistern? Wir zeigen die Menschen hinter schnöden Berufsbezeichnungen! Im Januar haben wir die #TRAINfluencer vorgestellt. Im vom BMDV geförderten Projekt wählten wir „Influencer“ aus, die in den sozialen Medien Einblicke in ihre Bahnberufe geben und bereits zehntausende Follower für die Schiene begeistern. Weitere Gesichter ließen nicht lange auf sich warten. 30 Berufsbotschafter/innen repräsentieren seit April ihre Berufe und stehen interessierten Berufseinsteigenden und Medien Rede und Antwort. Die Aktion, die ebenfalls vom Bundesverkehrsministerium gefördert wurde, stößt auf großes Interesse und soll 2023 erweitert werden. Alle Profile finden sich auf SchienenJobs.de – unsere Jobplattform, die in diesem Jahr einen großen Schritt gegangen ist. Gemeinsam mit der Index Internet und Mediaforschung GmbH gründeten wir zum Jahresbeginn die Schienenjobs GmbH. Die GmbH steuert seither sämtliche Aktivitäten rund um
Wir geben Bahnberufen ein Gesicht
Schienenjobs.de. Die Plattform bietet Informationen für Berufsinteressierte und mit nahezu 15.000 Stellenangeboten eine Vielzahl an Jobs aus der ganzen Branche. Damit nicht genug: Eine Datenbank mit Weiterbildungsangeboten steht in den Startlöchern und wird in Kürze auf schienenjobs.de präsentiert.
Verkehrswende entsteht im Kopf. Je früher wir nachhaltiges Mobilitätsverhalten erlernen und in unserem Bewusstsein verankern, desto leichter fällt es uns später, Fahrrad und Zug vorrangig zu nutzen. In unserem Projekt Jung und umweltfreundlich mobil zeigen wir anhand zahlreicher Beispiele, wie man bereits Kinder und Jugendliche für die Nutzung klimaschonender Verkehrsmittel begeistern kann. Und damit auch der Umstieg zwischen den nachhaltigen Verkehrsmitteln klappt, haben wir uns im Projekt Fahr-Rad-zum-Zug für bessere Rahmenbedingungen eingesetzt: Ob sich Fahrrad und Bahn gut kombinieren lassen, hängt nicht zuletzt von guten Abstellmöglichkeiten für Fahrräder an Bahnhöfen ab. Daher haben wir gemeinsam mit Expertinnen und Experten Maßnahmen und Lösungen für verschiedene Bahnhofstypen erarbeitet, mit denen der Umstieg vom Rad zum Zug unkompliziert gelingen kann. So tragen wir schon heute zu einer nachhaltigen Mobilität der Zukunft bei!
Wir weisen Wege in die Zukunft
Die Arbeit der Allianz pro Schiene wird zu 70 Prozent aus Spenden finanziert. Wir sind vom Finanzamt wegen Förderung des Umweltschutzes als gemeinnützig anerkannt. 22 Prozent unserer Einnahmen stammen von der öffentlichen Hand, für die wir verkehrspolitische Projekte im öffentlichen Interesse realisieren. Geldgeber waren in 2022 das Bundesumweltministerium und das Bundesverkehrsministerium. 67 Prozent unserer Einnahmen stammen von Spenden unserer Fördermitglieder. Beiträge unserer Mitgliedsorganisationen machen 1 Prozent unserer Einnahmen aus. Weitere Details zu unserer Finanzierung gibt es hier. Die Allianz pro Schiene ist Mitglied der Initiative Transparente Zivilgesellschaft.
Wir haushalten gemeinnützig
Wir agieren gemeinsam für eine starke Schiene
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