Berlin. Die großen Industrieländer Europas investieren hohe Summen in ihre Eisenbahnnetze. Nach einer Untersuchung von Allianz pro Schiene und SCI Verkehr geht Deutschland einen nationalen Sonderweg und droht, den internationalen Anschluss zu verpassen. Im Europa-Vergleich kommen die europäischen Staaten im Jahr 2008 auf folgende pro Kopf-Investitionen der öffentlichen Hand in die Schienen-Infrastruktur: Die Schweiz investierte 284 Euro pro Bürger, Österreich folgt mit 205 Euro pro Kopf. Beide Länder stecken traditionell deutlich mehr Geld in die Schiene als in die Straße. Aber auch andere Europäer ertüchtigen zur Zeit mit Hochdruck ihr Schienennetz: Großbritannien steckt 136 Euro pro Kopf in sein Netz, die Niederlande (105 Euro), Schweden (104 Euro), Spanien (84 Euro) und Frankreich (80 Euro) setzen ebenfalls klare Signale für die Zukunft ihrer Eisenbahnen. Deutschland rangiert mit Investitionen von 47 Euro pro Kopf weit abgeschlagen noch hinter Italien (60 Euro pro Bürger).
Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, kritisierte am Freitag in Berlin, dass der deutsche Sonderweg beim Verkehr geradewegs in die Sackgasse führe. Die mächtige Autoindustrie sorgt hierzulande seit Jahrzehnten dafür, dass die Straßeninfrastruktur stets um ein Vielfaches besser ausgestattet wird als die Schiene“, sagte Flege und verlangte von der schwarz-gelben Koalition ein energisches Umlenken. Wir sind gespannt, welche Entscheidungen bei den kommenden Haushaltsberatungen fallen“, sagte Flege und forderte, dass Deutschland es unter der neuen Regierung mindestens auf italienische Verhältnisse“ bringen müsse: Das sind 60 Euro pro Kopf aus Bundesmitteln für die Schieneninfrastruktur.“
Mit 47 Euro pro Einwohner rangieren Deutschlands staatliche Infrastrukturinvestitionen am unteren Ende der Skala“, sagte Lars Neumann von der Beratungsfirma SCI Verkehr. Auch ein Wechsel der Betrachtungsweise bringe kein anderes Ergebnis. Legt man den Vergleich zwischen Wirtschaftskraft und staatlichen Investitionsvolumen zu Grunde, sieht es noch düsterer aus“, sagte Neumann. Während die europäischen Spitzenreiter mit den Schwellenländern China, Russland oder Indien gleichauf stünden, fielen die deutschen Investitionen im Verhältnis zur Wirtschaftskraft noch weiter zurück. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt Deutschlands Schienenengagement knapp vor der Türkei. Mit dieser unterdurchschnittlichen Investitionsbereitschaft auf dem Heimatmarkt verspielt die Politik die weltweite Führungsposition der deutschen Bahnwirtschaft“, sagte der Berliner Büroleiter von SCI Verkehr.
Peter Mnich vom Institut für Bahntechnik/TU-Berlin, erklärte, dass China im Jahr 2009 erstmals mehr Geld in die Schiene als in die Straße investiert habe. 79 Milliarden Euro flossen im Jahr 2009 in die chinesische Schienen-Infrastruktur. Für die Straße brachte Peking im laufenden Jahr nur noch 78 Milliarden Euro auf: Den Ruf des Autoboomlandes hat China zu Unrecht“, sagte der Asien-Spezialist und betonte, dass es sich dabei um eine strategische Entscheidung zu Gunsten der Schiene“ handele, mit der China im Rahmen des jüngsten Fünf-Jahres-Planes seinen Verkehr zukunftstauglich“ mache. Der Bahntechnik-Experte wies darauf hin, dass Peking mit seiner Investitionspolitik Deutschland gemessen an der Wirtschaftskraft um Längen abgehängt“ habe.
Die Allianz pro Schiene ist das Bündnis in Deutschland zur Förderung des umweltfreundlichen und sicheren Schienenverkehrs. In dem Bündnis haben sich 16 Non-Profit- Verbände zusammengeschlossen: die Umweltverbände BUND, NABU, Deutsche Umwelthilfe und NaturFreunde Deutschlands, die Verbraucherverbände Pro Bahn, DBV und VCD, die Automobilclubs ACE und ACV, die drei Bahngewerkschaften TRANSNET, GDBA und GDL sowie die Eisenbahnverbände BDEF, BF Bahnen, VBB und VDEI. Die Mitgliedsverbände vertreten mehr als 2 Millionen Einzelmitglieder. Unterstützt wird das Schienenbündnis von 93 Unternehmen der Bahnbranche.