Berlin, 25. November 2021. Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP eröffnet dem künftigen Verkehrsminister nach Einschätzung der Allianz pro Schiene einen großen Gestaltungsspielraum. „Die gute Nachricht lautet: Auf dieser Grundlage kann der wahrscheinlich nächste Bundesverkehrsminister Volker Wissing die Weichen stellen, um den Marktanteil der Schiene deutlich zu erhöhen und die nachhaltige Mobilität voranzutreiben“, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, am Donnerstag in Berlin. „Allerdings haben die drei Parteien auch vieles vage gelassen oder sogar in wichtigen Punkten die alte Förderung der Straße bekräftigt. Daher kommt es jetzt mehr denn je auf die Umsetzung durch den Bundesverkehrsminister an. Er muss den Gestaltungsspielraum des Koalitionsvertrages nutzen, um die nachhaltigen Verkehrsträger und damit den Klimaschutz zu stärken. Das wird unser Maßstab für die Bewertung der Regierungsarbeit in den kommenden vier Jahren sein“, so Flege weiter.
In dem Verkehrskapitel überwiegen laut Analyse der Allianz pro Schiene die positiven Punkte, die den Einstieg in eine Verkehrswende für mehr Klimaschutz ermöglichen. Hier ein Überblick über die für den Schienensektor wichtigsten Vereinbarungen.
„Dabei wollen wir erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren, um prioritär Projekte eines Deutschlandtaktes umzusetzen.“ So lautet aus bahnpolitischer Sicht der Schlüsselsatz der Koalitionsvereinbarung. Damit bricht die Ampel-Koalition mit dem jahrzehntelangen Dogma der deutschen Verkehrspolitik, in der die Straße traditionell trotz aller Umwelt- und Klimaprobleme stets den Vorrang bekam. Für den Schienennahverkehr verspricht die Koalition zudem eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel von 2022 an. Eine Senkung der Trassenpreise für die Nutzung der Schieneninfrastruktur strebt sie an, stellt diese wichtige Entlastung allerdings unter einen Haushaltsvorbehalt. Ein negativer Punkt ist darüber hinaus die Ankündigung, den Etat für Bundesfernstraßen bis 2025 weiter wachsen zu lassen. Eine echte Verkehrswende braucht klare Prioritäten für eine klimafreundliche Mobilität. Immerhin ist vorgesehen, den Fokus bei den Straßeninvestitionen auf Erhalt und Sanierung zu legen und den Anteil der Mittel für Neubauprojekte schrittweise zurück zu fahren.
Die Vereinbarungen für eine Bahnreform bieten die Chance, bei diesem konfliktträchtigen Thema einen breiten Konsens zu finden. Wie von der Allianz pro Schiene seit langem gefordert, soll der Renditedruck beim Gleisnetz entfallen. Die Koalition möchte die Deutsche Bahn AG als integrierten Konzern erhalten, aber die Infrastruktureinheiten (DB Netz, DB Station und Service) zu einer „neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte“ zusammenlegen. Die Gewinne aus dem Betrieb der Infrastruktur sollen künftig in dieser neuen Infrastruktureinheit verbleiben.
Als positiv bewertet die Allianz pro Schiene die Vereinbarung im Koalitionsvertrag zur Lkw-Maut. Diese wollen die Ampelparteien erweitern und stärker an der CO2-Last ausrichten. Vor allem aber planen sie, die Milliarden aus der Lkw-Maut anders als bisher für den gesamten Mobilitätssektor einzusetzen statt wie bisher allein für den Bau von Autobahnen und Bundesstraßen. Von dieser Öffnung der Finanzkreisläufe wird die Schiene stark profitieren. Damit erschließen sich dringend benötigte Finanzmittel für den Ausbau der Schieneninfrastruktur.
Die drei Parteien bekräftigen nicht nur die bahnpolitischen Ziele der Vorgängerregierung, sondern gehen noch darüber hinaus. Im Personenverkehr wollen sie bis 2030 die Verkehrsleistung verdoppeln. Dies ist ambitionierter als das Ziel der alten Koalition, die eine Verdopplung der Fahrgastzahlen anstrebte. Denn auf der Schiene sind über 90 Prozent der Nutzer und Nutzerinnen im Nahverkehr und damit auf kurzen Strecken unterwegs. Erfreulich ist auch, dass die neue Koalition 75 Prozent des Schienennetzes bis 2030 elektrifizieren möchte. Bei einem Ausgangsniveau von 61 Prozent und nach den minimalen Steigerungen in der Vergangenheit erfordert dies eine neue Dynamik beim Bau von Oberleitungen. Für den Schienengüterverkehr hält die neue Koalition an dem Ziel fest, den Marktanteil von derzeit 19 Prozent bis 2030 auf 25 Prozent zu steigern. Den Masterplan Schienenverkehr will sie weiterentwickeln und zügiger umsetzen.
Jahrzehntelang ist das Schienennetz geschrumpft. Nun nimmt sich die Ampel vor, das Streckennetz zu erweitern. Dafür kündigt sie ein Programm „Schnelle Kapazitätserweiterung“ an. Auch soll die Schiene zurück in die Fläche kommen. Die Koalition möchte mehr mittlere und mittelgroße Städte wieder an den Fernverkehr anbinden, Strecken reaktivieren und Stilllegungen vermeiden. Sie spricht sich zudem für zusätzliche Nachtzüge in Deutschland und der EU aus. Auch innerhalb Deutschlands sollen „bessere Bahnverbindungen die Anzahl von Kurzstreckenflügen verringern“.
Mit einer Beschleunigungskommission Schiene wollen die drei Parteien Hürden bei der Umsetzung von Schieneninvestitionen abbauen. Damit erfüllen sie eine Forderung der Allianz pro Schiene an die künftige Bundesregierung. Generell sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt werden. Ziel der künftigen Koalitionäre ist es, die Verfahrensdauer mindestens zu halbieren.
In der EU will sich eine Ampel-Regierung laut Koalitionsvertrag dafür einsetzen, dass Flugtickets nicht mehr „unter einem Preis unterhalb der Steuern, Zuschläge, Entgelte und Gebühren verkauft werden dürfen“. Diese Dumping-Preise verzerren im Status Quo den Wettbewerb. Bahnfahren soll günstiger werden – allerdings steht dies unter dem Vorbehalt „sofern haushalterisch machbar“.
Zur Förderung des klimafreundlichen Schienengüterverkehrs (SGV) bekunden die drei Parteien viel guten Willen, ohne allerdings konkret genug zu werden. Sie wollen die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung als zentraler Innovation für den SGV beschleunigen, den Einzelwagenverkehr stärken und Investitionsanreize für Gleisanschlüsse setzen. Bei neuen Gewerbebieten soll die Schienenanbindung geprüft werden. Die Allianz pro Schiene fordert deutlich mehr – nämlich eine Ausstattung aller neuen Gewerbegebiete mit einem Gleisanschluss.
Konkret ist die Absage an ein Tempolimit auf Autobahnen. Vage und unverbindlich bleibt der Koalitionsvertrag dagegen beim Abbau umweltschädlicher Subventionen. Das alte Denken zeigt sich auch an zahlreichen anderen Stellen. Ein Beispiel ist die Vereinbarung, die Einnahmen aus der Luftverkehrssteuer zweckgebunden an die Flugbranche zurückließen zu lassen (vor allem für die Förderung von CO2-neutralen Flugkraftstoffen).
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