Berlin, den 19. Juli 2016. Mit Unverständnis haben Allianz pro Schiene, der NABU (Naturschutzbund Deutschland) und das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) auf den „ehrgeizlosen“ Entwurf für die neue Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes reagiert: In ihrer „Neuauflage Nachhaltigkeitsstrategie“ habe die Regierung ihr früheres Verlagerungsziel für einen höheren Marktanteil des klimafreundlichen Schienengüterverkehrs klammheimlich gestrichen, während das prognostizierte Wachstum des Güterverkehrs in dem Entwurf als politisches Handlungsfeld fast gar nicht mehr auftauche, kritisierten die Verbände am Dienstag in Berlin. Allianz pro Schiene, NABU und NEE forderten den Bund auf, für die Endfassung „eine ernsthafte Strategie für mehr Nachhaltigkeit im Verkehr vorzulegen, statt aussagekräftige Indikatoren zu entfernen, die das Scheitern der eigenen Verkehrspolitik belegen“. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Entwurf für die Neufassung der Nachhaltigkeitsstrategie am 31. Mai vorgestellt. Die Frist für die öffentliche Kommentierung der Neuauflage endet am 31. Juli. Zwischen Herbst und Winter soll das Kabinett die neue „deutsche Nachhaltigkeitsstrategie 2016“ beschließen.
„Der Verkehrssektor entwickelt sich für die Politik zum ewig ungelösten Klimaproblem“, sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke. „Während Bereiche wie Industrie, Energiewirtschaft und Handel ihre Emissionen deutlich senken konnten, verursacht der Verkehr in Deutschland heute genauso viele Treibhausgase wie im Jahr 1990 – Tendenz steigend.“ Angesichts „dieser Diagnose ist es nicht nachvollziehbar“, dass im Entwurf der neuen Nachhaltigkeitsstrategie keinerlei Konzept für eine konsequente Verlagerung von Gütern auf umweltschonende Verkehrsträger zu finden sei. „Im Bereich Verkehr gibt es für die Neuauflage leider nur ein Prädikat: Thema verfehlt“, so Tschimpke, der zugleich auch stellvertretender Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung ist. „Hier wird der Bund für die Beschlussfassung noch nachlegen müssen.“
Auch der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, bemängelte die verkehrspolitische Ehrgeizlosigkeit, mit der die neue Nachhaltigkeitsstrategie drängende Probleme im Verkehr unsichtbar machen wolle. „Leider ist in Deutschland der motorisierte Straßenverkehr heilig. Anders ist es nicht zu erklären, dass der Bund wichtige Kennzahlen zur Verkehrsverlagerung kommentarlos gestrichen hat“, sagte Flege und plädierte dafür, realistische Marktanteilsziele für die Schiene wieder in die Nachhaltigkeitsstrategie aufzunehmen. „25 Prozent der Güterverkehrsleistung könnten bis 2025 auf der Schiene transportiert werden. Heute befördern die Güterbahnen 17 Prozent. Im Personenverkehr hält die Allianz pro Schiene einen Modal Split von 15 Prozent bis 2025 für machbar. Heute erreichen wir zehn Prozent.“ Angesichts von beachtlichen Verlagerungserfolgen in der Schweiz und in Österreich forderte Flege den Bund zu mehr Mut auf. „Natürlich kann eine Politik, die keine Ziele hat, auch keine verfehlen. Der Nachteil ist aber erheblich: Wir können mit solchen zahnlosen Papieren auch nichts erreichen.“
Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE), erinnerte daran, dass die Verlagerungspolitik von Gütern von der Straße auf die Schiene auf eine lange Programmatik in Deutschland zurückblicken könne. In der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie von 2002 sei das Verlagerungsziel mit einem Marktanteil von 25 Prozent für die Güterbahnen bis 2015 angepeilt worden. „Dieses Ziel ist mangels konsequenter Maßnahmen vor allem nach Wirtschaftskrise 2008/2009 bisher nicht erreicht worden: Bis heute gibt es keinen fairen Wettbewerb zwischen Güterbahn und Lkw. Weiterhin fehlt es am energischen Ausbau der Infrastruktur.“ Statt einfach aufzugeben, solle der Bund die Verkehrsverlagerung als Leitbild der deutschen Verkehrspolitik fortschreiben und sein eigenes Handeln anpassen. „Die Verlagerung von Gütern auf die Schiene ist natürlich kein Selbstzweck: Das Klimaschutzziel, treibhausgasneutralen Gütertransport im Jahr 2050 zu realisieren, ist ohne Schienenverkehr nicht zu erreichen, dafür mit dem Schienenverkehr sogar früher.“
Mit dem einzigen Indikator, den die Entwurfsfassung der Nachhaltigkeitsstrategie für den Verkehrssektor noch enthält, zeigten sich NABU, Allianz pro Schiene und NEE unzufrieden. „Der Endenergieverbrauch des inländischen Verkehrs als Messgröße für den gesamten Verkehr ist als einzige Kennzahl viel zu pauschal“, kritisierten die Verbände. „Außerdem legt der Strategieentwurf das Ziel viel zu niedrig: Eine Reduktion von 40 Prozent beim Endenergieverbrauch bis 2050 bringt den Verkehrssektor nicht aus der Klima-Problemzone. Wenn der Bahnsektor richtig in ein politisches Gesamtkonzept eingebunden wird, kann er deutlich mehr.“
Bis zum 31. Juli können noch Hinweise und Stellungnahmen zum Entwurf eingereicht werden: nachhaltigkeitsdialog@bpa.bund.de
Weitere Informationen:
Entwurf für eine Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes
Stellungnahme der Allianz pro Schiene zum Entwurf der Nachhaltigkeitsstrategie 2016