Berlin, den 12. Juli 2016. Während viele europäische Länder ihr Schienennetz fit für die Zukunft machen, steckt Deutschland seit Jahren zu wenig Geld in seine Eisenbahninfrastruktur. Im Vergleich mit ausgewählten europäischen Ländern erreicht Deutschland auch 2015 nur einen der hinteren Ränge im Europa-Invest-Ranking. Nach einer Studie der Allianz pro Schiene und der Unternehmensberatung SCI Verkehr kommen die wichtigen europäischen Wirtschaftsnationen auf folgende Pro-Kopf-Summen bei ihren staatlichen Investitionen in das Schienennetz: Spitzenreiter Schweiz gab 383 Euro pro Bürger aus, gefolgt von Österreich mit 192 Euro pro Einwohner. Beide Alpenländer stecken seit Jahren höhere Summen in ihre Schienennetze als in ihre Straßeninfrastruktur. Doch auch in anderen europäischen Ländern brummt der Netzausbau: Schweden investiert 177 Euro pro Bürger, Großbritannien lässt sich sein Netz 152 Euro kosten und die Niederlande wenden 141 Euro auf. Italien gibt 72 Euro für die Ertüchtigung der Schiene aus, während Deutschland mit 56 Euro pro Bundesbürger den großen Abstand zu potenten Ländern in Europa weiterhin nicht aufholt. Unter den betrachteten Ländern investierten im Jahr 2015 lediglich Spanien (36 Euro pro Kopf) und Frankreich (37 Euro) weniger in ihre Eisenbahninfrastruktur als Deutschland.
„Obwohl der Bundesverkehrsminister sich für Rekordinvestitionen in die Schiene feiern lässt, bleiben die deutschen Pro-Kopf-Werte auch 2015 mager“, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, am Dienstag in Berlin. „Ein Mehrjahresvergleich zeigt uns einen langfristigen deutschen Trend. Das erste Jahr mit der neuen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, die der Bund mit der Deutschen Bahn abgeschlossen hat, führt leider nur zu einem mittelmäßigen Sprung beim Schieneninvest“, bemängelte Flege. Im Vorjahr hatte Deutschland 49 Euro pro Bürger ins Schienennetz gesteckt. Die Summe, die in absoluten Zahlen nötig wäre, bezifferte der Allianz pro Schiene-Geschäftsführer auf 80 Euro pro Kopf. „Italienische Verhältnisse sollten wir mit dem deutschen Schienennetz schon toppen“, sagte Flege.
Leider investiere Deutschland seit Jahren deutlich mehr Geld in den Straßenbau als in sein Schienennetz, kritisierte Flege. „Die Transitländer Schweiz und Österreich begleiten die Verkehrsverlagerung ganz gezielt mit Investitionen in ihre Eisenbahnnetze, während Deutschland auch mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan das Weiter so mit falscher Weichenstellung fortschreibt.“
Der Allianz pro Schiene-Geschäftsführer forderte ein schnelles Umsteuern im aktuellen Bundesverkehrswegeplan. „Die Schiene sollte mit mindestens 60 Prozent der Mittel in den verkehrspolitischen Fokus rücken. Die Ertüchtigung des Netzes für 740 Meter lange Güterzüge muss ganz vorne auf die Agenda.“
„Wir brauchen dringend mehr Kapazitäten im Güterverkehr“, sagte die Geschäftsführerin von SCI Verkehr, Maria Leenen. „Tatsächlich passiert gerade das Gegenteil: Deutschland bremst den europäischen Schienengüterverkehr aus. Mit unseren Infrastrukturdefiziten werden wir immer mehr zum Nadelöhr der transeuropäischen Routen“, sagte Leenen und verwies auf die Betuwelinie im Westen oder die Strecken im Süden, die zur Eröffnung des Gotthard-Tunnels nicht fertig geworden sind. „Unsere Nachbarländer habe ihrer Infrastrukturhausaufgaben gemacht, während die Politik in Deutschland weiter zögert“, kritisierte die SCI-Geschäftsführerin.
Leenen mahnte auch den zügigen Ausbau des deutschen Schienennetzes für 740 Meter lange Güterzüge an. „Um die Vorteile des Bahnsystems gegenüber dem Lkw ausspielen zu können, müssen unsere Züge länger werden“, sagte Leenen. „Zur Zeit verkehren in den USA oder in Australien Züge mit über vier Kilometern Länge. Frankreich testet bereits 1500 Meter lange Güterzüge, ab 2018 sollen 1000 Meter lange Züge regulär das französische Netz befahren. In Deutschland ist das Netz nicht mal für normallange Güterzüge von 740 Metern durchgängig befahrbar.“
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