Faktencheck Verkehrsprognose: Schienengüterbranche warnt vor Fehlsteuerung bei Infrastruktur

Bahnverbände beklagen Annahmen des Bundesverkehrsministeriums als unrealistisch

Berlin, 17.05.2023. Verbände aus der Schienengüterbranche kritisieren die Gleitende Langzeit-Verkehrsprognose aus dem Bundesverkehrsministerium als zu straßenfixiert und weitgehend realitätsfern. Marktentwicklungen und Innovationen auf der Schiene würden darin außen vor gelassen, das Wachstumspotenzial des Schienengüterverkehrs bewusst kleingerechnet. Die Allianz pro Schiene, der Verband der Güterwagenhalter in Deutschland, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen sowie DIE GÜTERBAHNEN warnen vor einer eklatanten Fehlsteuerung beim Ausbau der Infrastruktur und fordern stattdessen ein Konzept, wie verkehrs- und klimapolitische Ziele erreicht werden können.

Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, kritisierte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin: „Prognosen sind keine Fakten. Viele Annahmen der Prognose sind noch dazu wenig plausibel. Die Vorhersage bleibt sogar hinter der Realität der aktuellen Marktentwicklungen zurück. So ist es zum Beispiel schlicht falsch, dass Veränderungen der Güterstruktur automatisch zulasten des Schienengüterverkehrs wirken oder etwa Postsendungen ungeeignet für den Transport auf der Schiene seien. Schon heute kann ein Zug um die 100.000 Päckchen transportieren – und das Interesse der Paketlogistiker ist da.“

Der Vorsitzende des Verbands der Güterwagenhalter in Deutschland (VPI), Malte Lawrenz, riet dazu, die Innovationsfähigkeit der Branche anzuerkennen: „Die Wagenhalter haben sich längst auf die Veränderungen am Markt eingestellt. Anders als das Bundesverkehrsministerium es darstellt, wird die Nachfrage auf der Schiene nicht sinken, nur weil weniger Kohle transportiert wird. Beispielsweise drängen die Hersteller von Wasserstoff, Flüssigerdgas und Ammoniak sowie von Waren auf Paletten zunehmend auf die Schiene.“ Auch durch die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung werde der Schienengüterverkehr leistungsfähiger und könne seine Kapazitäten künftig steigern.

Dazu ergänzte der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Martin Henke, dass die Realität in der Wirtschaft und vor allem bei Speditionen und Verladern mittlerweile eine andere sei als in der Prognose unterstellt: „Die Prognose bildet die Marktrealität im Güterverkehr nicht mehr ab. Spediteure und die verladende Wirtschaft drängen inzwischen massiv auf die Schiene, weil sie wissen, dass die Straßen voll und die Fahrerkabinen der LKWs leer sind und bleiben. Zudem wird die LKW-Maut weiter steigen und eine gute Ökobilanz spielt auch in der Logistik inzwischen eine entscheidende Rolle. Die Wirtschaft ist also in ihrem Handeln längst weiter in Richtung Schienengüterverkehr. Dem muss in der Verkehrspolitik mehr Rechnung getragen werden.“ Darüber hinaus weist der VDV darauf hin, dass auch das Potenzial des Kombinierten Verkehrs – d.h. eine frühzeitige Verlagerung vom Lkw auf die Schiene – stärker in den Blick genommen werden müsse.

Der Geschäftsführer der GÜTERBAHNEN, Peter Westenberger, sagte: „Das Jahr 1983 hat angerufen und möchte seine Verkehrspolitik zurück. Niemand in Deutschland will nochmal die Hälfte mehr Lkw auf den Straßen als heute. Es wird auch schlicht nicht genug Lkw-Fahrer geben, um ein Wachstum von 54 Prozent im Straßengüterverkehr zu realisieren.“ Schon heute sei der Fahrermangel ein Riesenproblem, und der demographische Wandel werde die Situation in den nächsten Jahren noch verschärfen. „Die Kernfrage lautet: Wofür brauchen wir einen Verkehrsminister, wenn er nicht willens ist, prognostizierten Trendszenarien mit den Mitteln der Verkehrspolitik im Sinne eines umweltverträglichen Güterverkehrs entgegenzuwirken? Bei einer unvoreingenommenen technologieoffenen Überprüfung wäre mehr Schiene herausgekommen. Doch die Prämissen für die Prognose wurden bewusst straßenfreundlich ausgewählt und die verkehrs- und klimapolitischen Ziele der Ampel-Koalition ignoriert.“

Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, forderte im Namen aller vier Verbände: „Der Bundesverkehrsminister darf seine Politik nicht an unrealistischen Prognosen ausrichten. Im Gegenteil: Er muss den Wandel im Güterverkehr vom Ende her denken, die Konzepte sind da. Nur eine insgesamt effiziente Logistik ist zukunftsfähig. Koalitionsvertrag und Klimaziele geben eindeutige Eckpfeiler vor – nun muss die Politik die Infrastruktur schaffen, damit diese Ziele auch erreicht werden. Alles andere wäre eine verkehrspolitische Geisterfahrt.“

 

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