Berlin, den 20. Juli 2017. Reisende mit Rollstuhl sind wider Willen Experten im täglichen Kampf gegen unüberwindliche Treppen, kaputte Aufzüge oder steile Rampen. Eine aktuelle Statistik zeigt nun, dass es beim behindertengerechten Umbau der deutschen Bahnhöfe vorangeht. Von allen etwa 5.400 Personenbahnhöfen der Deutschen Bahn sind bereits 77 Prozent stufenfrei. Nach einer Auflistung der Allianz pro Schiene auf der Basis von Daten von DB Station & Service AG pendeln die Anteile der Bundesländer zwischen 96 Prozent (Schleswig-Holstein) und 56 Prozent (Saarland).
„Mit einer Quote von inzwischen fast 80 Prozent an stufenfreien Bahnhöfen geht es in Deutschland augenscheinlich voran“, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege am Donnerstag in Berlin. Flege verwies darauf, dass stufenfreie Bahnhöfe nicht nur für die relativ kleine Gruppe von Menschen mit Behinderungen wichtig seien, sondern auch Müttern oder Vätern mit Kinderwagen, Fahrradfahrern, Reisenden mit schwerem Gepäck und insgesamt einer alternden Gesellschaft zu Gute kämen. „Allgemeine Zugänglichkeit ist eine Investition in den öffentlichen Verkehr, die sich lohnt“, sagte Flege. Dennoch habe die Politik den Reisenden viel mehr versprochen. „Schon für 2022 steht die Barrierefreiheit für den öffentlichen Verkehr im Personenbeförderungsgesetz, dessen Bestimmungen sich über die Nahverkehrspläne der Länder auch auf die Schiene auswirken. Wie das Ziel erreicht werden soll und welche Mittel die Politik dafür bereitstellt, steht leider vielfach in den Sternen“, sagte Flege und erinnerte daran, dass die angestrebte Barrierefreiheit weitreichender sei als Stufenfreiheit.
„Stufenfreiheit“ bedeutet nach der Definition der Deutschen Bahn, dass alle Reisenden ohne fremde Hilfe zum Bahnsteig gelangen können. Diese ist ein wichtiger Bestandteil der „Barrierefreiheit“, die allerdings nicht nur Anforderungen an den Bahnhofsbau stellt, sondern auch Fahrzeuge, Ticketkauf und Reiseplanung umfasst: Um barrierefrei zu sein, muss die gesamte Reisekette so organisiert sein, dass mobilitätseingeschränkte Reisende – und das sind außer Rollstuhlfahrern auch Blinde oder Gehörlose – den Zug allein benutzen können. Allein beim Umbau der Bahnsteige wird es „bei gleichbleibendem Finanzmitteleinsatz und Ressourcen wird es noch zwischen 35 und 40 Jahren dauern, bis die vollständige Barrierefreiheit hergestellt ist“, heißt es im aktuellen Infrastrukturzustandsbericht. Mit dem jüngsten „Nationalen Umsetzungsplan“ dokumentiert der Bund die deutschen Fortschritte bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit des Eisenbahnsystems.
Die Allianz pro Schiene widersprach dem üblichen Missverständnis, dass die Herstellung der Barrierefreiheit allein in der Verantwortung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen liege. „Bahnhofsfinanzierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bahnunternehmen, Bund, Ländern und Kommunen“, sagte Flege. „Die barrierefreie Mobilität steht in den verkehrspolitischen Wahlprogrammen wirklich aller Parteien. Wir hoffen, dass diese ganz große Koalition der Befürworter nach der Bundestagswahl auch schnell das nötige Geld bereitstellt.“
Für den Stand beim öffentlichen Verkehr verwies der Sozialverband VdK Deutschland auf das Gesetz zur Barrierefreiheit. „Beim öffentlichen Verkehr müssen Bund, Länder und Kommunen die gesetzliche Verpflichtung endlich ernstnehmen und deutlich mehr Geld für die Schaffung von Barrierefreiheit bereitstellen. Wenn nicht schleunigst angepackt wird, ist das Jahr 2022 nicht mehr zu schaffen“, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher.
Weitere Informationen:
Grafik: Stufenfreie Bahnhöfe in Deutschland zum Download
Nationaler Umsetzungsplan der Bundesrepublik Deutschland zur TSI PRM vom März 2017