Berlin, 07.02.2024. Das Potenzial von Reaktivierungen von Schienenwegen im ländlichen Raum wird längst nicht ausgeschöpft. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Technischen Hochschule Deggendorf, an der sich 115 Reaktivierungsprojekte in ganz Deutschland beteiligt haben. Bislang hat nur ein Zehntel der Initiativen erfolgreich eine Strecke wiederbeleben können. Auch eine Untersuchung der Leibniz-Gemeinschaft sieht ungenutztes Potenzial. Die Allianz pro Schiene fordert auch eine aktivere Rolle des Bundes, um Reaktivierungsvorhaben schneller zum Erfolg zu führen.
Ziel der Studie der TH Deggendorf war es, Faktoren für den Erfolg oder Misserfolg einer Reaktivierung herauszufinden, damit Strecken künftig schneller wiederbelebt werden können. Der wissenschaftliche Leiter der Studie, Prof. Johannes Klühspies, sagte: „Als größtes Hindernis bei den Projekten gilt die sogenannte Wirtschaftlichkeitshürde, also dass die Reaktivierung sich betriebswirtschaftlich rechnen müsse. In Bayern ist hierbei insbesondere das formale Kriterium der mindestens 1.000 Fahrgäste pro Werktag ein echtes Problem. Und auch die Sicherung von Anschlüssen an den neuen Haltepunkten ist im ländlichen Raum eine große Herausforderung. Hier wünschen sich die Akteure vor Ort eine stärkere Unterstützung vonseiten der Politik.“
Zu diesem Ergebnis kommt auch ein aktuelles Positionspapier der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft. In die Kosten-Nutzen-Analyse sollte viel stärker als bisher der Nutzen fürs Gemeinwohl einfließen, fordern die Autoren der Untersuchung.
Die Allianz pro Schiene hatte bereits im vergangenen Jahr darauf aufmerksam gemacht, dass die Zahl der Machbarkeitsstudien für Reaktivierungen in Deutschland stark gestiegen ist. Zusammen mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hatte das gemeinnützige Bündnis ausgerechnet, dass Machbarkeitsstudien in mehr als 75 Prozent der Fälle zu einem positiven Ergebnis kommen. Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, beklagt jedoch, dass es zu langsam vorangehe: „Wir sehen einen gewaltigen Rückstand bei der Umsetzung. Wir müssen in Deutschland acht Mal so schnell werden wie bisher, wenn die öffentliche Hand bis 2030 allein die Reaktivierungen, für die bereits positive Machbarkeitsstudien vorliegen, umsetzen will – das wären mehr als 1.300 Kilometer Schienenstrecke.“
2022 wurden lediglich acht Kilometer Schienennetz in Deutschland reaktiviert, und 2023 wurde gar keine Reaktivierung umgesetzt. Dirk Flege: „Es braucht in allen Bundesländern eine klare Reaktivierungsstrategie mit konkreten Zeitplänen, damit die Akteure vor Ort nicht Jahre und Jahrzehnte rödeln und trotzdem nicht vorankommen.“
Eine weitere Erkenntnis der Studie von der TH Deggendorf: Der Güterverkehr wird bei den Streckenreaktivierungen in der Regel von den Akteuren vor Ort vernachlässigt. Prof. Johannes Klühspies: „Die Initiativen vor Ort haben oft nur den Personenverkehr im Blick. Denn beim Güterverkehr sind häufig zusätzliche Investitionen erforderlich, weil es um höhere Lasten geht als im Personenverkehr. Auch Ladestraßen und Güterumschlagsflächen wären hier dringend einzuplanen. Es braucht also die richtigen Anreize, damit auch der Schienengüterverkehr bei den Reaktivierungen sinnvoll integriert wird.“
Auch hierin stimmen beide Untersuchungen überein. Bei der Leibniz-Gemeinschaft heißt es, der Güterverkehr müsse bei den Reaktivierungsvorhaben deutlich stärker mitgedacht werden als bisher, auch um Gewerbeflächen wieder besser an die Schiene anzubinden.
Die Allianz pro Schiene fordert speziell für den Güterverkehr ein Bundesprogramm Reaktivierung. Dirk Flege: „Für die Reaktivierung von Strecken im Personenverkehr auf der Schiene hat der Bund bereits Anreize gesetzt. Über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz übernimmt er 90 Prozent der Kosten einer Reaktivierung. Für den Güterverkehr gibt es eine solche Förderung bislang nicht. Daher wäre ein eigener Haushaltstitel das Mittel der Wahl, damit der Personen- und Güterverkehr gleichermaßen mitgedacht werden.“
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