Berlin, den 24. August 2015. Während die Befürworter überlanger Lkw mit weniger Lastwagen-Verkehr auf Deutschlands Straßen werben, hat eine Studie renommierter Verkehrswissenschaftler jetzt das Gegenteil bewiesen. Nach Berechnungen von Prof. Herbert Sonntag (TH Wildau) und Prof. Gernot Liedtke (TU Berlin) würden durch die Zulassung von Riesen-Lkw Transporte im Umfang von mehr als 8 Milliarden Tonnenkilometer von der Schiene auf die Straße verlagert – das sind 7,6 Prozent des Schienengüterverkehrs. Die Menge entspricht pro Tag 7000 zusätzlichen Lkw-Fahrten auf Deutschlands Straßen. „Die Hoffnung vieler Politiker, durch den Einsatz von längeren Lkw die Zahl der Lastwagen auf den Straßen zu vermindern, wird sich nicht erfüllen“, sagte Studienautor Prof. Sonntag in Berlin. „Die Behauptung, dass der Riesen-Lkw sogar ein Beitrag zum Umweltschutz im Güterverkehr sein könne, ist mit unseren Berechnungen widerlegt.“
Während Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) inzwischen offen dafür eintritt, den Gigalinern nach dem Ende der Testphase die Regelzulassung zu erteilen, kritisierte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene die verkehrspolitische Naivität von einigen Länder- und Bundespolitikern, die vor dem wachsenden Druck bestimmter Lkw-Hersteller einknickten. „Wenn Daimler wirklich glauben würde, mit dem Gigaliner weniger Lastwagen zu verkaufen, müssten die Aktionäre ihr Veto einlegen“, sagte Flege. „Es ist eine Tatsache, dass die Freigabe für Gigaliner zu noch mehr Lkw-Verkehr führen wird“, sagte Flege. Wenn der Bund die Regelzulassung dennoch betreibe, bürde er dem Steuerzahler hohe Kosten auf, gefährde die Sicherheit von Autofahrern und Radfahrern und schädige die Umwelt.
Flege verwies auf die Demonstration am morgigen Dienstag, bei der hochrangige Politiker gegen den Riesen-Lkw mobil machten: Michael Cramer, Verkehrsausschussvorsitzender im EU-Parlament und Martin Burkert, Verkehrsausschussvorsitzender im Deutscher Bundestag, werden sich klar gegen die Regelzulassung für Gigaliner aussprechen. „Noch ist die Öffentlichkeit nicht aufgewacht: Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger haben bislang kaum einen Gigaliner zu sehen gekriegt. Wir stellen ihn deshalb in voller Länge vors Brandenburger Tor. Noch ist Zeit, diesen verkehrspolitischen Unsinn zu stoppen“, sagte der Allianz pro Schiene-Geschäftsführer.
1. Was ist eigentlich ein Riesen-Lkw?
Sie heißen Gigaliner, EuroCombi, Ökoliner oder Lang-Lkw, doch hinter den harmlosen Namen verstecken sich noch längere und schwerere Lastwagen. Deutschland erlaubt 25 Meter lange und bis zu 44 Tonnen schwere Lastwagen in einem sogenannten Feldversuch. Doch überall dort in Europa, wo Riesen-Lkw eingesetzt werden, wiegen sie bereits 60 Tonnen – etwa in den Niederlanden oder Dänemark. Schweden hat angekündigt, das Lkw-Gewicht von 60 auf 64 Tonnen zu erhöhen – Versuche mit 30 Meter langen und 90 Tonnen schweren Lkw laufen.
2. Wo fahren Gigaliner in Europa?
In Finnland und Schweden fahren Riesen-Lkw schon lange. Doch die weiträumigen, relativ dünn besiedelten skandinavischen Regionen mit wenig Straßenverkehr sind nicht zu vergleichen mit dem Rest Europas. Dort ist das Straßennetz dicht gebaut und stark befahren – für Gigaliner nicht geeignet. Auch Dänemark und die Niederlande testen 25 Meter Lkw mit 60 Tonnen.
3. Wo fahren Gigaliner in Deutschland?
Das Bundesverkehrsministerium hat im Dezember 2011 eine Ausnahmeverordnung erlassen, um Riesen-Lkw zu testen. Die Verordnung sieht vor, dass Gigaliner in den teilnehmenden Bundesländern neben Autobahnen und Bundesstraßen auch auf einer Vielzahl von Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen fahren dürfen. Die Testfahrten sind auf fünf Jahre – bis Ende 2016 – angesetzt.
Bundesland | dafür/dagegen | Strecken |
Baden-Württemberg | dafür | Strecken freigegeben (trotz Ablehnung im Koalitionsvertrag) |
Bayern | dafür | Strecken freigegeben |
Hamburg | dafür | Strecken freigegeben |
Hessen | dafür | Strecken freigegeben |
Mecklenburg-Vorp. | dafür | Strecken freigegeben |
Niedersachsen | dafür | Strecken freigegeben |
Sachsen | dafür | Strecken freigegeben |
Berlin | dagegen | keine Strecken freigegeben |
Brandenburg | dagegen | keine Strecken freigegeben |
Bremen | dagegen | einzelne Strecken freigegeben |
Nordrhein-Westf. | dagegen | keine Strecken freigegeben, verlängerte Sattelanhänger erlaubt |
Rheinland-Pfalz | dagegen | keine Strecken freigegeben |
Saarland | dagegen | keine Strecken freigegeben |
Sachsen-Anhalt | dagegen | nur Transitverkehr auf der Autobahn |
Schleswig-Holstein | dagegen | bestehende Strecken von Vorgängerregierung freigegeben |
Thüringen | dagegen | bestehende Strecken von Vorgängerregierung freigegeben |
Die Befürworter übergroßer Lkw werben gerne mit Umweltargumenten, in Wirklichkeit versprechen sie sich aber eine Kostenersparnis im Lkw-Transport von bis zu 30 Prozent. Zu den Befürwortern von übergroßen Lkw gehört der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Bundesverband des Groß- und Außenhandels (BGA) und weitere Verbände des Straßentransportgewerbes.
5. Was befürchten die Gegner?
Die Gegner von übergroßen Lkw befürchten, dass durch die Verbilligung des Lkw-Verkehrs durch Gigaliner ein Anreiz für mehr Straßengüterverkehr geschaffen wird. Durch den Kostenvorteil der Gigaliner könnten Güter von umweltfreundlichen Verkehrsträgern zurück auf die Straße verlagert werden. Das Ergebnis wären mehr Lkw-Fahrten und eine größere Umweltbelastung. Zu den Gegnern von übergroßen Lkw zählen die in der Allianz pro Schiene zusammengeschlossenen Automobilclubs, Umweltverbände und Eisenbahnen sowie der Deutsche Städtetag und die Deutsche Polizeigewerkschaft. Auf EU-Ebene haben sich die Gegner zum Bündnis No Mega Trucks zusammengeschlossen.
6. Wie entscheidet die EU in Sachen Riesen-Lkw?
EU-Parlament und EU-Verkehrsminister haben den Vorschlag der EU-Kommission zurückgewiesen, grenzüberschreitende Fahrten von Riesen-Lkw zwischen Nachbarstaaten zu erlauben. Während in einigen Mitgliedsstaaten Versuche mit Riesen-Lkw laufen, zeigt die EU dem Gigaliner nun das Stoppschild und schlägt mit Sicherheitsverbesserungen und aerodynamischen Optimierungen bei den Fahrzeugmaßen einen grundsätzlich anderen Weg ein.