Die Nachfrage an moderner und nachhaltiger Mobilität wächst. Der Schienenverkehr ist hier Vorreiter und stellt sich mit einer Vielzahl von digitalen Services sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr neu auf. Wie die Digitalisierung neue Mobilitätskonzepte ermöglicht, berichtet Manfred Fuhg, Leiter der Mobility Division von Siemens Deutschland und neuer Sprecher der Unternehmen in der Allianz pro Schiene. Dabei liegt der Innovationsdruck nicht nur bei den Unternehmen – auch die Verkehrspolitik ist in der Pflicht.
Allianz pro Schiene: Herr Fuhg, wir stecken mitten in der Digitalisierung: Durch die Vernetzung von Fahrzeugen und Infrastruktur ergeben sich auch zahlreiche neue Möglichkeiten im Verkehr und Siemens liefert die Technik dafür. Wie verändert sich unsere Mobilität?
Ich glaube, auch in der Zukunft wird die Wahl des Reisemittels frei sein und von vielen Faktoren, wie z.B. den persönlichen Vorlieben, der finanziellen Situation, dem Wohnort abhängig sein. Die Vielfalt der Mobilität, ob in der Luft, auf dem Wasser, auf der Schiene oder Straße, autonom oder vom Mensch gesteuert, wird vernetzt sein!
Welche Rolle spielen die Bahnen dabei?
Ich glaube die Digitalisierung wird die systembedingten Stärken der Bahn sichtbar machen. Natürlich kann man dies nur in Zusammenhang mit den politischen Rahmenbedingungen sehen, hier müssen im Sinne der Nachhaltigkeit die richtigen Weichen gestellt werden. Z.B in vielen urbanen Zentren wird es ohne schienengebundenen ÖPNV keine leistungsstarke und nachhaltige Mobilität geben. Die Qualität des Bahnverkehrs der Zukunft ist vom Grad der Digitalisierung abhängig, Betriebssicherheit, Verfügbarkeit und Online-Informationen an den Reisenden sind hier die Erfolgsfaktoren. Um die Stärken der Digitalisierung für die Bahn nutzbar zu machen, müssen auch die Verkehrsleistungen mit intelligenten Lebenszykluskonzepten ausgeschrieben werden, um die innovativen Technologien optimal einzusetzen.
Viele innovative Mobilitätsprojekte werden im Ausland realisiert. Ist der Verkehrssektor in Deutschland zu konservativ?
In Deutschland gibt es viele innovative Mobilitätsprojekte, zum Beispiel fallen mir hier die Verkehrsmanagementzentrale in Berlin, die Testfelder mit digitaler Infrastruktur um autonomes Fahren auf der Straße zu erproben, ein. Im Bahnumfeld ist die Anzahl der Entwicklungsprojekte schon etwas übersichtlicher. Ein vom Bund gefördertes, digitales Testfeld für selbstfahrende Bahnen wäre wichtig. Natürlich gibt es neben den rein technischen Aspekten auch rechtliche und ethische Fragen, wie sie zurzeit beim autonomen Fahren diskutiert werden.
Sie haben viele Mobilitätsprojekte auf den Weg gebracht. Welches ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
In meiner Zeit bei Siemens durfte ich an vielen interessanten Verkehrsprojekten auf Straße und Schiene mitarbeiten. Wenn wir über Innovation, Digitalisierung und Nachhaltigkeit sprechen, dann fällt mir der Rhein-Ruhr-Express ein. Der RRX verbindet Rheinland, Ruhrgebiet und Westfalen und ist mit einem Auftragswert von 1,7 Mrd. € der größte SPNV-Auftrag für Siemens in Deutschland. Der Auftrag umfasst die Lieferung von 82 vierteiligen Desiro HC Elektrozügen und die Wartung und Instandhaltung über einen Zeitraum von 30 – 32 Jahren. Der Service der Fahrzeuge erfolgt durch Siemens in einer neu errichteten Werkstatt im eigenen Depot. Die Fahrzeuge sind mit unzähligen Sensoren ausgestattet. Moderne Datenkommunikation sorgt für ständigen Dialog zwischen Zug, Depot und unserem Data Service Center in München Allach. Datenüberwachung und Diagnose führen so zu einer maximalen Verfügbarkeit der Fahrzeuge. Neben der innovativen Technik ist auch das RRX-Vergabemodell zukunftsweisend. Anders als in bisherigen Wettbewerbsverfahren werden die Fahrzeuglieferung und die Instandhaltung durch den Fahrzeughersteller erbracht. Das NRW-RRX-Modell trennt Fahrzeugbeschaffung und Linienbetrieb im Wettbewerb. Siemens ist 30 Jahre für die 100%ige Verfügbarkeit der Fahrzeuge verpflichtet. In die Bewertung der Angebote gingen neben Fahrzeugpreis auch Kosten für den Service und Energieverbrauch ein.
Nach fast 1,5 Jahren Vergabeverfahren erhielten wir im März 2015 den Auftrag für das Projekt. Dank der Unterstützung unserer Kunden und aller Projektpartner sind wir pünktlich on rail, das Depot in Dortmund ist in der Fertigstellung. In wenigen Tagen, am 12.Juli,werden wir das erste Fahrzeug des RRX in unserem Prüf- und Validationscenter in Wegberg-Wildenrath der Fachwelt vorstellen. Ende 2018 beginnt die gestaffelte Betriebsaufnahme der Fahrzeuge.
Was kommt eigentlich nach der Digitalisierung?
Bei der Frage ist eher ein Hellseher gefragt, ich persönlich glaube, dass die Digitalisierung uns noch eine lange Zeit beschäftigen wird. Wir sprechen von Elektrifizierung, Automatisierung, Digitalisierung und an allen Themen werden wir auch in Zukunft arbeiten. Denken wir nur an die Lücken in der Bahnelektrifizierung, an die Elektrifizierung der Highways um Oberleitungs-LKWs anzutreiben oder an die Elektrifizierung der Busse und Autos. Auf unsere Techniker und Ingenieure warten noch viele spannende Aufgaben für eine nachhaltige, umweltfreundliche, sichere und komfortable mobile Welt.
Herr Fuhg, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christopher Harms