Die Sondierungsgespräche haben gerade erst begonnen, da sind sich Union und SPD schon einig. Zumindest in einer Sache: dem Klimaschutzziel 2020. Eine Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes um 40 Prozent bis 2020 könne „aus heutiger Sicht nicht erreicht werden“. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte im Wahlkampf noch zugesichert, Deutschland werde sein Klimaschutzziel bis 2020 schaffen. „Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten. Das verspreche ich Ihnen“, so ihre Worte damals. Im Interview erklärt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, wieso das Aufgeben des Ziels ein falsches Signal ist, warum sich die politischen Rahmenbedingungen zwingend ändern müssen und welche Bedeutung der Verkehr im Klimaschutz einnimmt.
Herr Flege, SPD und Union haben in einem Ergebnispapier der Sondierungsgespräche die Klimaschutzziele 2020 begraben. In dem Papier heißt es, man wolle die Lücke zum Ziel nun bis Anfang der 2020er-Jahre „so weit wie möglich schließen“. Was sagen Sie dazu?
Realismus ist immer gut, auch in der Politik. Dennoch senden die potentiellen GroKo-Koalitionäre hier das falsche Signal. Das Sondierungspapier geht den Klimaschutz nicht offensiv genug an. Ein bisschen erinnern die Formulierungen der Unterhändler in dem Ergebnispapier an vergangene Zeiten. Klimaschutz verkommt zur Restgröße. „Nice to have“, aber Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung sind wichtiger.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Deutschland seine Klimaschutzziele 2020 nicht erreichen wird?
Das hat sicherlich viele Gründe. Ein Grund ist jedoch definitiv eine vernachlässigte Verkehrspolitik. Der Verkehr ist in Deutschland das klimapolitische Sorgenkind Nummer 1. Es ist der einzige Sektor, in dem die CO2-Emissionen seit 1990 nicht gesunken, sondern sogar um 1 Prozent gestiegen sind. Wir haben in diesem Politikfeld auch den größten Reformstau. Zwei Beispiele für grundlegend falsche Entwicklungen: Der Anteil der Umweltsteuern an allen Steuereinnahmen und Sozialabgaben ist auf 4,9 Prozent zurückgegangen. Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Zeitreihe 1995. Zweites Beispiel: Umweltschädliche Subventionen haben in Deutschland ein Niveau von 57 Milliarden Euro pro Jahr erreicht, davon entfallen alleine 28 Mrd. Euro auf den Verkehrssektor. Die umweltschädlichen Subventionen im Verkehrsbereich haben mittlerweile ein Rekordniveau erreicht.
Welche Rolle kann der Schienenverkehr beim Klimaschutz spielen?
Der Schienenverkehr hat – sofern die politischen Rahmenbedingungen stimmen – als einziger motorisierter Verkehrsträger eine realistische Chance, 2050 CO2-neutral zu sein. Bereits heute ist das Schienennetz zu 60 Prozent elektrifiziert. Bereits heute werden 90 Prozent der Verkehrsleistung elektrisch erbracht. Und: Bereits heute stammen 42 Prozent des Fahrstroms der Deutschen Bahn aus erneuerbaren Energiequellen. Insofern sollte so viel Verkehr wie möglich Verkehr auf die Schiene verlagert werden.
Was kann die Regierung tun, um beim Klimaschutz durch mehr Schienenverkehr voranzukommen?
Vier Dinge: Das Schienennetz weiter elektrifizieren, alternative Antriebe im Schienenverkehr fördern, eine Nachhaltige Finanzreform auf den Weg bringen, die endlich Schluss mit umweltschädlichen Subventionen im Verkehr macht, und die Kapazität des Schienenverkehrs ausbauen. Letzteres bedeutet auch eine Digitalisierungsoffensive für die Schieneninfrastruktur.
Was wünschen Sie sich von den weiteren Gesprächen zwischen Union und SPD?
Mehr Mut, für eine echte Verkehrswende. Das Angebot des Öffentlichen Verkehrs muss verbessert werden, Stichwort Deutschlandtakt, und alte Zöpfe müssen abgeschnitten werden. Mit einem „Weiter so“ wird die Zukunft nicht gestaltet, auch nicht in der Mobilität.