Um die Anziehungskraft von Bahnhöfen als Visitenkarten und zentralen Anlaufpunkt ihrer Gemeinde zu stärken, sind Versorgungsangebote, die ihre Kundinnen und Kunden selbst „mitbringen“, eine erfolgsversprechende Wahl. Zu ihnen zählen neben Cafés, Restaurants, kleinen Supermärkten, Kiosks oder Bäckereien auch Informations- und Serviceangebote:
Ein schön sanierter Bahnhof stärkt die Identifikation mit dem Standort und seiner Region und kann dadurch einen gesellschaftlichen Mehrwert stiften, der die Attraktivität ländlicher Räume und den Wohlfühlfaktor am Bahnhof insgesamt steigert.
Das Angebot am Bahnhof sollte dementsprechend zielgruppenorientiert und regional angepasst sein. Gerade in Kleinstzentren mit einem hohen Anteil weniger mobiler, älterer Menschen kann der Einsatz mobiler Angebote (zum Beispiel Medi-Busse) am Bahnhof eine sinnvolle Lösung sein. Die Drehscheibenfunktion des Bahnhofs wird dadurch gestärkt. Zugleich sind die mobilen Angebote für die Nutzerinnen und Nutzer so gut erreichbar.
Um ein Versorgungskonzept zu entwickeln, das die lokalen Bedürfnisse bedient, ist es sinnvoll eine Standortanalyse durchzuführen, mit der die Ortsidentität ermittelt wird. Wesentliche Kernfragen einer solchen Analyse sind zum Beispiel:
Wie unterschiedlich die Ergebnisse einer solchen Analyse ausfallen können, zeigen die Bahnhöfe Winterberg, Viechtach und Ortrand:
In Winterberg lag das alte verfallene Bahnhofsgebäude auf der letzten Fläche der Innenstadt, die noch über Entwicklungspotenzial verfügte. Ziel der Stadtverwaltung war es, das Bahnareal städtebaulich attraktiv zu entwickeln und möglichst viele Dienstleistungen und Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf im und am Bahnhof zu konzentrieren und damit ins Zentrum zurückzuholen. Unter dieser Prämisse hat die Stadt zwei Investorenauswahlverfahren für den Verkauf der Fläche eingeleitet. Kriterien für die Auswahl waren, dass die Investoren das Bahnhofsgebäude mitkaufen und zweckgebunden umbauen oder ein neues Gebäude bauen, das die erwähnten Funktionen erfüllen kann.
Anstelle des alten Empfangsgebäudes ist ein zweistöckiges Einzelhandelsgebäude (Spatenstich im Jahr 2016, Eröffnung im Jahr 2017) entstanden, das neben dem Bürgerservice der Stadt, dem Gesundheits- und Jugendamt des Hochsauerlandkreises, auch ein Restaurant, eine Volkshochschule und den Servicepunkt der Winterberg Touristik und Wirtschaft beherbergt. Der Stadt ist es mittlerweile gelungen, Einkaufsangebote vom Stadtrand ins Zentrum zurückzuholen. Auch in Winterberg war der Bau einer direkten Straßenverbindung, die den Bahnhof sinnvoll zentral in den lokalen Verkehr einbindet, ein entscheidender Erfolgsfaktor. Darüber hinaus werden die Mobilitätsangebote fortlaufend weiterentwickelt, etwa durch die Integration von Ladesäulen.
Dass es nicht immer ein Bürgerbahnhof sein muss, um Menschen von nah und fern anzuziehen, zeigt der Bahnhof Viechtach in Bayern. Nachdem der Personenverkehr auf der Strecke Gotteszell-Viechtach im Jahr 2016 reaktiviert worden war, ist auch das leerstehende Bahnhofsgebäude wieder aus seinem Dornröschenschlaf erweckt worden. Die Modernisierung des Bahnhofs ist eine Gemeinschaftsleistung mehrerer Beteiligter. In diesem Fall die der Kommune, des privaten Eisenbahnverkehrsunternehmens Länderbahn und des Viechtacher Fördervereins Go-Vit. Um nach der Reaktivierung des Nahverkehrs einen festen Ansprechpartner für die Fahrgäste zu etablieren, richtete die Länderbahn mit Unterstützung des Fördervereins zunächst einen Infopoint ein, um Fahrgäste alle Informationen rund um Tarife, Verbindungen und Reisemöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Parallel dazu wurde das gesamte Bahnhofsumfeld von Kommune und Länderbahn neu gestaltet. Dazu zählten der Aufbau und die Inbetriebnahme eines Zentralen Omnibusbahnhofs mit Wartebereichen sowie mit Stellplätzen für Fahrräder und Pkw und die Ausstattung des gesamten Areals mit Informationssystemen.
Mittlerweile ist der Infopoint zu einem Kundencenter gewachsen. Der früher leerstehende Bahnhof beherbergt mittlerweile eine Musikschule und ein Restaurant, das sich zu einem beliebten Treffpunkt in der Stadt entwickelt hat.
Dass einer guten Mischung aus Kultur und Versorgung eine besondere Anziehungskraft innewohnt, wird auch klar, wenn man den Blick nach Ortrand in Brandenburg richtet. Der örtliche Bahnhof ist eine echte Perle der Eisenbahnkultur: Seit 2012 findet hier im Gästekeller des Empfangsgebäudes der jährliche Tag des Eisenbahners statt. Im anliegenden Kulturgüterschuppen gibt es regelmäßige Veranstaltungen, das ehemalige Badehaus auf dem Gelände beherbergt ein kleines Eisenbahnmuseum. Wer nach Museumsbesuch und Veranstaltung nicht mehr nach Hause möchte oder kann, findet für wenig Geld sogar ein bequemes Bett im umgebauten Eisenbahnwaggon.
Im Empfangsgebäude gibt es Arztpraxen, Büros und Wohnungen. Die daraus gewonnenen Mieteinnahmen bilden iederum das finanzielle Fundament für den Betrieb des Bahnhofs. Entwickelt wurde das multifunktionale Nutzungskonzept vom heutigen Bahnhofseigentümer, der den Bahnhof zum größten Teil in Eigenregie modernisiert hat. Da die erfolgreiche Organisation so vieler unterschiedlicher Angebote allein kaum zu schaffen ist, gibt es seit 2018 den Verein Ortrander Kulturbahnhof e.V., der bis heute dafür sorgt, dass der Bahnhof ein Magnet für Anwohnende und Eisenbahnfans bleibt.