Die Bundesregierung hat sich die Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030 (gegenüber 2018) auf die Fahnen geschrieben. Im Güterverkehr strebt sie an, den Marktanteil der Schiene auf mindestens 25 Prozent zu steigern (gegenüber heute gut 19 Prozent). Dies kann aber nur gelingen, wenn auch die Infrastruktur ausgebaut wird und in der Fläche wächst. Hier bieten stillgelegte Bahnstrecken ein großes Potential. Vielerorts in Deutschland warten sie nur darauf aus dem Dornröschenschlaf erweckt zu werden.
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Die Reaktivierung von Bahnstrecken bedeutet, dass Personen- und/oder Güterverkehr auf zuvor ungenutzten Gleisen wieder aufgenommen wird. Manchmal sind Gleise und Bahnanlagen sogar noch betriebsbereit. In diesem Fall ist eine Reaktivierung des Schienenverkehrs relativ schnell und mit überschaubarem Aufwand realisierbar. Wurde dagegen die Schieneninfrastruktur bereits stillgelegt oder sogar demontiert, ist der Aufwand sehr viel größer.
Häufigste Ursache für Streckenstillegungen waren in der Vergangenheit sinkende Nutzerzahlen. Allerdings wurde früher kaum nach den Ursachen gefragt. Ging die Nachfrage auf bestimmten Verbindungen zurück, wurden in der Regel keine Maßnahmen ergriffen, um die Strecke für die Nutzerinnen und Nutzer wieder attraktiver zu machen.
In den meisten Fällen war daher eine Abwärtsspirale zu beobachten: Ein unattraktives Angebot führte zu sinkenden Nutzerzahlen. Als Reaktion darauf wurde das Angebot noch weiter eingeschränkt, mit dem Ergebnis eines noch weiteren Nachfragerückgangs. Schließlich wurde der Verkehr auf der Schiene dann ganz eingestellt.
Seit der Bahnreform von 1994 hat sich das Bild glücklicherweise deutlich gewandelt: Auf vielen zuvor dahinsiechenden Strecken wurde das Angebot stark verbessert. Das hat dazu geführt, dass die Menschen in Scharen zurück auf die Schiene drängten (15 Beispiele finden Sie hier).
Ähnlich ist das Bild bei den Strecken, die bereits stillgelegt waren und eine Reaktivierung erlebt haben: Die Fahrgastzahlen liegen fast immer deutlich über den Erwartungen und erreichen vielerorts neue Rekorde.
Die Bevölkerung Deutschlands legt im Durchschnitt immer weitere Strecken zurück. Moderne, sichere und umweltschonende Mobilitätslösungen sind daher wichtiger denn je. Um mehr Menschen Zugang zur Eisenbahn zu ermöglichen, ist die Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken ein ideales Mittel, das mit vergleichsweise wenig Aufwand zu realisieren ist.
Wurde in der Vergangenheit der Personenverkehr auf einer Bahnstrecke eingestellt, bedeutete das nicht automatisch, dass auch die Streckeninfrastruktur stillgelegt und abgebaut wurde. In vielen Fällen wurden die Gleise zum Beispiel vom Güterverkehr weiter genutzt. Dann kann der Regelbetrieb auch für den Personenverkehr meist ohne großen Aufwand wieder aufgenommen werden.
Aber selbst wenn die Gleise abschnittsweise abgebaut wurden, ist die Reaktivierung von Bahnstrecken häufig günstiger als ein kompletter Neubau. Dies ergibt sich daraus, dass die Trassen-Flächen und Bahndämme meist noch vorhanden . Werden diese genutzt, kann der Aufwand bei der Reaktivierung minimiert werden.
Die Eisenbahnen in Deutschland eilen von einem Fahrgastrekord zum nächsten. Auch nach Corona ist nicht absehbar, dass die Deutschen weniger reisen werden. Damit aber nicht nur gut erschlossene Ballungsräume von den Vorteilen der Bahnen profitieren, muss auch das Schienennetz in die Breite wachsen.
Immer wieder zeigt sich: Sobald Bahnstrecken reaktiviert und wieder regelmäßige Zugverbindungen angeboten werden, nutzen die Menschen diese Angebote. So kann die Reaktivierung von Bahnstrecken dazu beitragen, die Umwelt zu schonen. Wer Zug fährt, sitzt in diesem Moment schon einmal nicht mehr im Auto.
Unzählige Studien haben bereits gezeigt, dass ein an den Bahnverkehr angeschlossener Bahnhof die Attraktivität von Orten und Gemeinden für die Bevölkerung und die Wirtschaft erhöht. Durch die Reaktivierung von Bahnstrecken können viele Ortschaften und Regionen in Deutschland schnell und kostengünstig profitieren. So bringt die Eisenbahn Lebensqualität in ländliche Regionen und schafft Freiheit: Moderne Mobilität braucht keinen Führerschein.
Reaktivierte Bahnstrecken ergänzen bestehende Linien. So entstehen neue Verbindungen und auch neue Haltepunkte in der Fläche, die für Pendlerinnen und Pendler, aber beispielsweise auch touristisch relevant sein können. Damit sorgt die Schiene auch für eine Entlastung der Straßen: Wo attraktive Zugverbindungen bestehen, steigen die Menschen gern vom Auto auf die Bahn um.
Die Eisenbahn wurde (und wird) leider häufig als nationales Projekt gesehen. Das schlägt sich in Sprachanforderungen für Lokführerinnen und Lokführer, unterschiedlichen Systemen der Stromabnehmer und natürlich auch bei stillgelegten Eisenbahnstrecken nieder. Grenzregionen haben häufig Probleme mit der Anbindung an die nationale Infrastruktur, dies zeigt sich auch bei vermeintlich unwichtigen Verbindungen zu unseren europäischen Nachbarn.
Erstaunlicherweise spielen im grenzüberschreitenden Schienenverkehr auch die Weltkriege noch eine Rolle: Manche Verbindungen wurden zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut. Durch die Reaktivierung von Bahnstrecken kann die Eisenbahn hier ihren schönsten Zweck erfüllen – und Menschen über Grenzen hinweg verbinden.
Der Güterverkehr profitiert durch die verbesserte Stabilität des Schienennetzes von reaktivierten Bahnstrecken. Aber nicht nur das. Die Reaktivierung von Bahnstrecken kann auch dafür sorgen, dass Gewerbegebiete wieder an das Schienennetz angeschlossen werden. So können Unternehmen ohne großen Aufwand auf die Schiene setzen – und mit einem Güterzug bis zu 52 Lkw ersetzen.
Die Karte ist Teil der VDV Broschüre „Auf der Agenda: Reaktivierung von Eisenbahnstrecken“
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Hier können Sie die Broschüre herunterladen (pdf) |
Wenn die Gleise und Bahnsteiganlagen noch vorhanden und in einem zeitgemäßen Zustand sind, sind keine besonderen Maßnahmen notwendig, um die Bahnen wieder fahren zu lassen.
Häufiger ist es aber der Fall, dass nach einer längeren Phase ohne Personenverkehr die Gleis- und Bahnsteiganlagen modernisiert werden müssen. Damit die Züge die heute üblichen Reisegeschwindigkeiten erreichen können, muss häufig auch die Leit- und Sicherungstechnik erneuert werden. Die Gelegenheit kann gut genutzt werden, um die Strecke gegebenenfalls gleich zu elektrifizieren. In verschiedenen Fällen wurden auch bereits demontierte Streckenabschnitte für eine Reaktivierung wiederaufgebaut.
Bevor eine Bahnstrecke reaktiviert wird, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Einen wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zur Reaktivierung ist die Machbarkeitsstudie. In diesem frühen Planungsschritt nehmen Gutachter eine erste Abschätzung vor, ob eine Reaktivierung überhaupt technisch möglich ist und ob zu erwarten ist, dass der Nutzen einer wiederbelebten Bahnstrecke die Kosten übersteigt. Kommen die Experten zu einem positiven Ergebnis, können die nächsten Schritte auf dem Weg zur Reaktivierung eingeleitet werden.
In der Zeitspanne von 2015 bis 2023 wurden pro Jahr durchschnittlich 24 km Schienenstrecke reaktiviert. Bis zum Jahr 2030 könnten weitere 1.357 km Schienenstrecke reaktiviert werden, denn für diese Kilometer liegen positive Machbarkeitsstudien vor. Ein solches Ziel bedeutet allerdings, dass sich das aktuelle Reaktivierungstempo verachtfachen muss.
In Deutschland wurden in den vergangenen Jahren mehr als 100 solcher Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. Gemeinsam mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) haben wir ausgewertet, dass über 76 Prozent dieser Studien positiv für die untersuchten Strecken ausfallen. In unserer interaktiven Karte finden Sie die positiven Machbarkeitsstudien in Deutschland.
Hier können Sie die Grafik herunterladen (pdf) |
Seit der Bahnreform Mitte der 1990er Jahre sind die Bundesländer für die Organisation des Schienenpersonennahverkehrs zuständig. Sie beziehungsweise die sogenannten Aufgabenträger entscheiden, wo und in welchem Umfang Regionalverkehr auf der Schiene stattfindet und wo er eingestellt wird.
Oft kommt der Anstoß für die Reaktivierung von Bahnstrecken aber von lokalen Initiativen, die sich für ihr Projekt einsetzen. Für eine Reaktivierung müssen dann das zuständige Bundesland bzw. der Aufgabenträger tätig werden, da diese die Zugverbindungen in ihrem Gebiet „bestellen“. Abhängig vom jeweiligen Einzelfall muss zusätzlich auch noch die Modernisierung oder Instandsetzung der Schieneninfrastruktur mit dem Betreiber vereinbart werden.
Die Initiative für eine Reaktivierung im Güterverkehr kann von unterschiedlichen Akteuren ausgehen. In Frage kommen zum Beispiel Transport- und Logistikfirmen (Verlader), die für ihre Transporte wieder einen Schienenanschluss brauchen. In Frage kommen aber auch Eisenbahnverkehrsunternehmen, die neue Kunden für den Transport auf der Schiene anschließen möchten. Und auch Kommunen haben häufig Interesse an der Wiederbelebung ihrer Schieneninfrastruktur, um die Standortqualität zu verbessern. Schließlich kann die Initiative auch von Eisenbahninfrastrukturunternehmen ausgehen, die auf die Nachfrage nach neuen Gleisen reagieren.
Seit der Bahnreform 1994 wurden in Deutschland mit über 3.600 km deutlich mehr Strecken des Schienenpersonennahverkehrs abbestellt als reaktiviert (über 900 km). In einigen Bundesländern ist das Verhältnis aber anders als in der bundesdeutschen Gesamtbetrachtung: In Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Schleswig-Holstein wurden seit 1994 jeweils mehr Streckenkilometer für den Personennahverkehr reaktiviert als abbestellt.
Auch bei dem größten Infrastrukturbetreiber in Deutschland, der DB Netz AG, hat ein Umdenken stattgefunden. Im Dezember 2019 hat die DB Netz bekanntgegeben, künftig keine Streckeninfrastruktur mehr stilllegen zu wollen.
(Stand Oktober 2024)
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So kann die Reaktivierung von Bahnstrecken vorangetrieben werden: