Der Berliner Hauptbahnhof emotionalisiert – und polarisiert. Man kann ihn lieben, man kann ihn hassen, aber kalt lässt er keinen. 300.000 Menschen kommen täglich in den Bahnhof, darunter Zehntausende, die einfach nur gucken wollen. Aus dem Stand heraus hat sich Berlin Hauptbahnhof zu einer der Top-Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt entwickelt. Touristen und Berliner stimmen täglich mit den Füßen ab: Viele Berliner sind mittlerweile stolz auf den Glaspalast, viele Touristen beeindruckt von der neuen Verkehrsstation. 84 Prozent der Deutschen haben nach einer aktuellen Meinungsumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom neuen Berliner Hauptbahnhof gehört. 18 Prozent waren schon einmal dort. Von ihnen sagen 80 Prozent, dass ihnen Berlin Hauptbahnhof alles in allem gefällt. Im Eröffnungsjahr 2006 und im Folgejahr belegte Berlin HAuptbahnhof bei repräsentativen Kundenzufriedenheitsumfragen des Meinungsforschungsinstituts infas im Auftrag der DB Station & Service AG jeweils Spitzenplätze unter Deutschlands Hauptbahnhöfen. Mithalten kann bei der gemessenen Kundenzufriedenheit nur noch der Leipziger Hauptbahnhof.
Der Berliner Hauptbahnhof verfügt nach Ansicht der Allianz pro Schiene-Jury über folgende Pluspunkte:
Es gibt kein Graffiti und kein Scratching. Dies liegt wohl auch an der offenen Bauweise. Alles ist von überall her einsehbar, es gibt keine dunklen oder einsamen Ecken, in denen man sich unbeobachtet oder bedroht fühlen könnte.
Dies liegt in erster Linie an dem großzügigen Einsatz von Glas. Bahnreisende auf der oberen Gleisebene können bei der Ankunft vom Bahnsteig aufs Kanzleramt und auf den Reichstag blicken. Es gibt nichts Trennendes zwischen Bahnhof und Stadt. Noch im Bahnhof ist man bereits in der Stadt. Der Bahnhof ist Teil der Stadt. Der Bahnhof ist aber auch zwischen allen fünf Ebenen „offen“. Reisende und Touristen stehen am Geländer und gucken nach unten, durch die verschiedenen Ebenen. Alle paar Meter haben sie eine neue Perspektive. In alle Ebenen bis hinab in die „Minus 2-Ebene“ scheint Tageslicht. Außen gibt es an allen Seiten imposante Treppenstufen sowie Ein- und Ausgänge zu allen Himmelsrichtungen.
Kein Bahnhof Deutschlands dürfte in den vergangenen Monaten so häufig von außen und von innen fotografiert und gefilmt worden sein.
Trotz der offenen Bauweise und den auf der obersten und untersten Ebene ein- und ausfahrenden Züge gibt es im Bahnhof erstaunlich wenig Lärmbelästigungen durch die Zugbewegungen.
Ein Grund dafür sind die zahlreichen Geschäfte und die vielfältige Gastronomie sowie die hohe Zahl von Touristen. Für Leben sorgen aber auch kulturelle Angebote in Berlin Hauptbahnhof wie Tanzperformance, Dinosaurierskelett oder Riesenweihnachtsbäume. Trotz der Angebotsvielfalt im Bahnhof dominiert auf keiner Etage das Gefühl, in einem Einkaufszentrum zu sein. Insgesamt herrscht eine angenehme Reiseatmosphäre.
Auf den Bahnsteigen und im Bahnhof gibt es erfreulich viel Servicepersonal. Die Servicekräfte sind für Bahnreisende ansprechbar und gehen von sich aus auf Kunden zu, um zu helfen.Für Reisende aus dem Ausland gibt es in dem tiefer gelegenen Reisezentrum eine spezialisierte Anlaufstelle, wo das Personal fließend englisch spricht.
Die Wartezeit beim Fahrkartenkauf können Reisende auf roten Ledersesseln überbrücken. Auf den mittleren Bahnhofsetagen befinden sich viele Sitzgelegenheiten, einige davon mit Panoramablick.
Berlin Hauptbahnhof zieht die Menschen auch deshalb in seinen Bann, weil die Menschen spüren, dass er wie kein anderer Bahnhof dieser Welt für den Aufbruch der Eisenbahnen in ein neues Zeitalter steht. Der 1,2 Milliarden Euro teure Neubau hat nichts Nostalgisches. Er ist das Zukunftssymbol des Verkehrsträgers Schiene. Ein Bau, der Millionen Menschen anzieht, die teilweise sonst überhaupt keinen Bezug zur Eisenbahn haben. Der Hauptstadtbahnhof demonstriert auch Nichtnutzern die Modernität und Leistungsfähigkeit der Eisenbahn. Als Aushängeschild des Verkehrssystems leistet er einen wichtigen Beitrag zur Kundengewinnung. Ein Aspekt von Kundenfreundlichkeit, den wir als Jury besonders würdigen möchten.
Trotzdem ist Berlin Hauptbahnhof regelmäßig Objekt kontroverser Berichterstattungen in den Massenmedien. Die beiden Dauerbrenner in den Berliner Medien, verkürztes Glasdach und abgehängte Decke im Tiefbahnhof, sind aber aus Kundensicht keine echten Ärgernisse.
Relevanter für die Kunden sind vielmehr die bislang lediglich provisorisch gestalteten Bahnhofsvorplätze, die fehlende direkte Anbindung an die Nord-Süd-S-Bahn und an das U-Bahnnetz sowie die unzureichende Verknüpfung Berlin Hauptbahnhofs mit den vorhandenen Buslinien, inklusive unnötiger Informationsdefizite beim Übergang. Hier kann und muss für die Kunden noch eine Menge verbessert werden. Gefordert sind hier alle:
Die Allianz pro Schiene-Jury versteht die Auszeichnung des Berliner Hauptbahnhofs zum kundenfreundlichsten Großstadtbahnhof Deutschlands auch als bewussten Ansporn an die Verantwortlichen, Deutschlands Vorzeigebahnhof noch kundenfreundlicher zu machen.
Noch ist Berlin Hauptbahnhof nicht fertig. Er ist im Werden – genau wie die Stadt, in dessen Mitte er steht. Insofern passen Bahnhof und Stadt ideal zueinander. Die Stadt Berlin ist allen Unzulänglichkeiten zum Trotz Deutschlands beliebteste und aufregendste Stadt. Und die Stadt hat zur Zeit Deutschlands spannendsten Bahnhof.
Kein Bahnhof ist perfekt, auch kein Bahnhof des Jahres. Aber dieser Bahnhof hat einfach was. Etwas, was Berlin auch hat. Etwas Faszinierendes, Ambivalentes, Pulsierendes, Vorwärtsstrebendes. Er ist unser Bahnhof des Jahres 2007.