Mehr Güter auf die Schiene – zu dieser zentralen Aufgabe für den Klimaschutz leistet die Wascosa AG mit der Erfindung des so genannten E-Car für Kühltransporte einen wichtigen Beitrag. Die Innovation erlaubt es, Waren in Güterwagen mit Strom statt mit Dieselaggregaten zu kühlen. Dieser bedeutende Fortschritt hilft, Verkehre von der Straße auf die Gleise zu verlagern und den CO2-Ausstoß des Warentransports zu reduzieren.
Mit dem Clara Jaschke Innovationspreis 2021 würdigt die Jury der Allianz pro Schiene diese Pionier-Arbeit. Die Idee kam dem Wascosa-Eigentümer Philipp Müller schon Mitte der 2000er Jahre. Bis zur Realisierung war es ein weiter Weg. Nötig dafür war eine echte Teamarbeit, aber auch und ganz besonders das Engagement der Preisträgerin Irmhild Saabel, Leiterin Business Development und Mitglied der Geschäftsleitung der Wascosa AG. Mit ihrem strategischen Weitblick, ihrer Überzeugungskraft und ihrem unermüdlichen Einsatz für eine Vision sorgte sie dafür, dass ein großartiges Konzept in die Praxis umgesetzt werden kann.
Durch die Innovation leitet Wascosa den Strom von den Loks der Güterzüge zu den Wagen, um damit Kühlbehälter zu versorgen. Dieses Verfahren ermöglicht auf der Schiene den Umstieg von Diesel auf Strom bei der Kühlung insbesondere auf langen Strecken. Damit wird der Transport von Kühlware auf der Schiene leiser, umweltfreundlicher und gewinnt an Attraktivität für viele Kunden, die bisher noch auf den Lkw setzen. So schafft die Innovation die technische Voraussetzung, um mehr Waren mit dem Zug statt mit dem Lkw zu transportieren und die Klimalast des Verkehrs spürbar zu senken.
Frau Saabel, Kühlware wird heutzutage ganz überwiegend mit Lkw transportiert. Warum spielt die Schiene derzeit in diesem Segment noch eine so kleine Rolle?
Irmhild Saabel: Anders als Wagen eines Personenzugs sind Güterwagen nicht mit Strom ausgestattet. Für die Kühlung brauchen Sie also Dieselaggregate. Die müssen aber gerade auf längeren Strecken häufig nachgefüllt werden, was die Effizienz mindert und auch wenig umweltfreundlich ist. Zudem gibt es Probleme mit dem Lärmschutz durch die Dieselaggregate. Die Umrüstung der Güterwagen zu einer Ausstattung mit Strom hat die Branche lange gescheut, da die Kosten dafür sehr hoch sind.
Damit aber will sich die Wascosa AG nicht abfinden. Mit welcher Innovation wollen Sie das Problem angehen?
Irmhild Saabel: Mit unserer Innovation rüsten wir die Güterwagen ähnlich wie die Personenwagen mit einer Zugsammelschiene aus. Das ist eine 1000-Volt-Leitung, die gekuppelt wird mit einer Standardkupplung zwischen den einzelnen Wagen. Den Strom erhält sie von der Lok. Auf den Wagen wird der Strom in 400 Volt Standard-Industriestrom umgewandelt, den die Kühlbehälter benötigen.
Wie ist Wascosa auf dieses Konzept gekommen? Wer hat die Idee entwickelt?
Irmhild Saabel: Die Idee kam unserem Eigentümer Philipp Müller schon Mitte der 2000er Jahre. Bereits 2006 hat Wascosa dafür das erste Patent in der Schweiz angemeldet. In den vergangenen fünf Jahren haben wir das Konzept mehr und mehr in die Realität umgesetzt. Das Ganze ist das Ergebnis einer echten Teamarbeit, an der viele in unserem Unternehmen mitwirken. Wir kooperieren zudem mit externen Fachleuten – beispielsweise mit Siemens Mobility und mit der TU Berlin, die uns da tatkräftig unterstützen. Auch das Schweizer Verkehrsministerium fördert das Projekt, weil die Schweizer Bundesregierung ein großes Interesse an der Verlagerung auf die Schiene und auch an der Lärmminderung hat.
Wie weit sind Sie von der Genehmigung noch entfernt?
Irmhild Saabel: Wir müssen bei der Zulassung neue Wege gehen, da man bisher bei der Zulassung von Güterwagen gar nicht davon ausgegangen ist, dass diese mit Strom ausgestattet sein können. Zudem betrifft die Innovation die elektromagnetische Verträglichkeit. Damit ist unter Umständen die Sicherheit der Infrastruktur berührt. Die Regeln dafür sind in den einzelnen Mitgliedsländern der EU sehr unterschiedlich.
Gibt es die Chance auf eine europaweite Zulassung?
Irmhild Saabel: Ja. Seit der Etablierung der Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA) als zentrale Zulassungsbehörde in Europa für den Bahnverkehr laufen die Zulassungsprozesse für den Schienengüterverkehr zentral über das ERA. 2020 haben wir uns deshalb entschieden, die landesbezogenen Zulassungen zu stoppen. Im Jahr 2021 haben wir den Antrag für eine europaweite Zulassung bei der ERA gestellt. Hier stehen wir seit Monaten im regen Austausch mit der ERA.
Wo fahren heute die Güterwagen mit der elektrischen Kühlung?
Irmhild Saabel: Im Rahmen des mit dem Schweizerischen Bundesamt für Verkehr abgestimmten Projektplanes laufen aktuell diverse Testverkehre. In Skandinavien, Deutschland, Österreich und der Schweiz haben wir dafür bereits die landesbezogene Zulassung erhalten. In Ländern wie z.B. Italien oder bald auch in Belgien können wir mittels Spezialbewilligungen Testverkehre durchführen.
Wie groß schätzen Sie das Potenzial für diese Erfindung ein?
Irmhild Saabel: Das Potenzial ist sehr groß. Wir gehen davon aus, dass mehrere tausend Wagen in Europa damit ausgestattet werden können. Viele Verkehre in diesem Segment gehen heute über die Straße. Doch dort ist die Kapazitätsgrenze längst erreicht oder überschritten. Für die Transporte über große Strecken etwa auf der Nord-Süd-Verbindung von den Seehäfen wie Rotterdam nach Italien oder auch auf den großen Ost-West-Strecken interessieren sich sehr viele Unternehmen für einen Kühltransport auf der Schiene.
Kann der Güterwagen mit Stromversorgung auch die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung erleichtern?
Irmhild Saabel: Das könnte im zweiten Schritt so sein. Wenn man einmal die Güterwagen mit Strom versorgt hat, erschließen sich dadurch auch viele weitere Anwendungsmöglichkeiten.