Mit Gleiswechsel zum Happy End

Etwa sein halbes Leben arbeitet Gerd Müller schon für die DB Regio, seit geschlagenen 27 Jahren. Einfach Dienst nach Vorschrift zu machen, kommt für ihn nicht infrage. Er liebt die Begegnungen mit den Fahrgästen, für sie legt er sich jeden Tag ins Zeug. Im vergangenen Sommer hat er Reisende im Rollstuhl mit seinem Engagement derart beeindruckt, dass er nun Eisenbahner mit Herz ist.

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Herr Müller, erst mal ganz herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung.

Gerd Müller: Vielen Dank, ich freue mich sehr.

Sie haben im Juni 2023 dafür gesorgt, dass ein kaputter Fahrstuhl am Bahnhof in Bensheim für einige Menschen im Rollstuhl nicht zu einem Drama wurde. Erzählen Sie doch mal, was vorgefallen ist.

Gerd Müller: Ich erinnere mich noch gut, denn es war eine lange Schicht an einem heißen Tag. Ich war gerade im letzten Zug vor Feierabend und eigentlich schon etwas platt. In Bensheim kam dann ziemlich aufgeregt eine Dame auf mich zu, die erzählte, dass ein Aufzug kaputt sei und eine Gruppe, zu der auch Rollstuhlfahrer gehörten, nicht zu ihrem Zug nach Frankfurt kommen könne.

Oh nein, das war sicher total frustrierend für die Gruppe. Aber was konnten Sie dann tun, wenn der Fahrstuhl kaputt ist? Sie konnten ihn ja nicht reparieren?

Gerd Müller: Es war so, dass die eine Hälfte der Gruppe, die mobil war, in meinem Zug mitgefahren ist. Die andere Hälfte der Gruppe ist mit einem Betreuer in Bensheim geblie-
ben, weil sie einfach keine andere Wahl hatte: Es war Wochenende, das Reisezentrum hatte schon geschlossen. Und kurzfristig konnte der Betreuer keinen Fahrdienst organisieren, der auf Menschen in Elektrorollstühlen eingestellt war. Ich konnte mir gut vorstellen, wie hilflos sich die Menschen fühlen mussten, die nun keine Chance hatten, in ihren Zug nach Frankfurt zu kommen. Also habe ich aus meinem fahrenden Zug heraus einen Schlachtplan entwickelt.

Wie sah der aus?

Gerd Müller: Erst mal habe ich bei der Transportleitung angerufen. Das ist die Stelle, die dafür sorgen kann, dass ein Zug auf ein anderes Gleis umgeleitet wird – in dem Fall also auf das Gleis, an dem die Rollstuhlfahrer warteten. Die Kollegin in der Transportleitung war zum Glück top drauf und wollte auch unbedingt helfen. Ich habe ständig Kontakt gehalten zur einen Hälfte der Gruppe im Zug und auch zu der anderen Hälfte, die am Bahnsteig in Bensheim immer noch gewartet hat. Ich konnte den Leiter der Gruppe am Telefon beruhigen und habe ihm versprochen, dass wir eine Lösung finden werden.

Eisenbahner mit Herz 2024 - Gerd Müller

Da hatten Sie ja eine Menge zu organisieren und vor allem zu kommunizieren…

Gerd Müller: Ja, das stimmt. Ich habe auch meine Kollegen im Zug nach mir informiert, den die Gleisänderung dann ja betraf. Die Weichen werden zwar ohnehin gestellt, aber mir war wichtig, dass sie auch Bescheid wissen, warum wir die Gleisänderung haben. Zwischendurch habe ich für die Gruppe in meinem Zug immer wieder Durchsagen gemacht, weil ich gewissermaßen an meinem Platz festklebte, auf Rückrufe warten musste und ständig telefoniert habe.

Nun konnten Sie ja nicht selbst miterleben, ob der Gleiswechsel und der Umstieg für die Gruppe in Bens-heim geklappt hat. Wie haben Sie am Ende davon erfahren, dass alles gut gegangen ist?

Gerd Müller: Ich habe später nochmal meine Kollegen aus dem Zug angerufen, in dem die Rollstuhlfahrer mitfahren sollten, und nachgefragt. Sie haben mir bestätigt, dass alles ohne Probleme geklappt hat. Da ist mir dann ein Stein vom Herzen gefallen. Auf meinem Nachhauseweg später habe ich auch nochmal den Leiter der Gruppe angerufen und gefragt, wie es ihm geht. Und der war – obwohl das für mich wirklich ganz selbstverständlich war, zu helfen – total erleichtert und so beeindruckt, dass er mich bei der Allianz pro Schiene als Eisenbahner mit Herz vorgeschlagen hat.

Wie schön – und völlig verdient übrigens. Sicher wäre nicht jeder bereit, nach einem anstrengenden Tag und auch nach so vielen Jahren im Job noch die Extrameile zu gehen.

Gerd Müller: Da ist schon was dran. Ich merke immer wieder, dass ich mir als Zugbegleiter wirklich jeden Tag Mühe geben muss, weil die Fahrgäste aufgrund der vielen Verspätungen und Zugausfälle ja durchaus oft frustriert sind. Ich versuche ihnen dann immer zu zeigen, dass ich ihnen etwas Gutes tun will und dazu da bin, ihnen zu helfen – und dass ich nicht nur der Typ bin, der ihre Fahrkarte kontrolliert.

Wie oft kommt es denn vor, dass Sie auch Lob von den Fahrgästen bekommen?

Gerd Müller: Das passiert eigentlich erfreulich oft, wenn man sich ins Zeug legt für die Leute und wenn man einfach ein Herz für die Fahrgäste hat. Aber natürlich geht dann nicht jeder Fahrgast gleich den Weg, einen für den Eisenbahner mit Herz zu nominieren. Und ich bin ja schon wirklich lange dabei. Für mich ist das was ganz Besonderes. Es zeigt, dass meine Leistung hoch bemessen und anerkannt wird. Trotz aller Mühen, die man manchmal auf sich nimmt, ist das der richtige Weg. Als Eisenbahner sind wir ja Dienstleister für die Fahrgäste. Für mich ist die Auszeichnung eine Bestätigung, dass es sich lohnt, für die Fahrgäste am Ball zu bleiben.

Das freut uns, lieber Herr Böhm. Danke für Ihr Engagement.